■ Nebensachen aus Moskau: Altbekanntes in der Fremde
Der Aufreißer läßt nicht locker und verfrachtet mich in einen „dolmus“-Kleinbus – Richtung Antalya. Die Hitze knallt, die Mitfahrer stecken in dicken Verpackungen. Überall ein und derselbe Klang. Der Erzrivale am Bosporus wird diesmal von innen her aufgerollt.
Ein junges Mädchen steigt zu. Sie stellt sich als Natascha vor, die die Reisenden auf die Hotels verteilen wird. Natascha strahlt die Energie eines russischen Dienstleistenden aus. Sie ist hochmotiviert, den Auftrag schnell abzuhaken. Die Mundwinkel starren mit neunzig Grad Verhärtung abwärts, gewöhnlich ein Merkmal der Verkäuferinnen daheim. Sind das nicht alles erlebnishungrige Urlauber, die ein wenig Aufmunterung verdient hätten? Natascha beginnt ihre Ausführungen wie eine Grabrede, Tenor: einmal, da man die Heimat verlassen mußte. Wo man hinkommt, ist nichts wie daheim. Das flößt Angst ein. Doch sich wohlfühlen, heißt sich wie zu Hause fühlen. Im Falle Rußlands ist das nicht ganz einfach. Schwierigkeiten müssen mit ins Gepäck gepackt werden, und das bei 20 Kilo Limit. Natascha weiß um alles. Ihr obliegt, die Differenz zum Gastland zu minimieren. „Die Türken haben etwas dagegen, wenn Sie Lebensmittel mit auf Ihr Zimmer nehmen“, erläutert sie. Die Erklärung folgt: „Angeblich fürchten sie die Kakerlaken?“ Das stößt bei einem Reisenden auf Unverständnis. Auf die treuesten Freunde verzichten? Schließlich gehören Kakerlaken zur Grundausstattung jeder Herberge. Nicht teilen zu wollen, erinnert an Habgier. Aha, eine fremde Kultur. Gleich zu Anfang ein klares Indiz für die Überlegenheit der eigenen. Gesetze werden in Rußland seit altersher erfunden, um die Phantasie der Menschen anzuregen, einen Ausweg zu entdecken. Natascha fährt fort und empfiehlt das Mitgebrachte in einer undurchsichtigen Tasche zu verstauen. Bitte keine Plastiktüte. Die Reisenden sind erleichtert. Die erste Hürde ist genommen.
Das Fremde ist bedrohlich, besonders wenn man die Landessprache nicht beherrscht. Die Gastgeber könnten daraus Kapital schlagen, deutet die Reiseleiterin an. Um die Touristen vor Unannehmlichkeiten zu bewahren, bietet das Büro eine Verkaufstour an: „Sonst zahlen Sie zwei-, dreimal soviel, nur weil Sie Ausländer sind.“ Das verstehen die neuen Mittelständler gut, der Brauch hat auch zu Hause gewisse Tradition. Also: „Nicht allein einkaufen gehen. Immer nur soviel türkische Lira einstecken, wie für Eis und Getränke nötig.“ Jemand fürchtet, das Geld könnte vorfristig verpraßt sein. Was würde der Vertragshändler sagen, der auf das sichere Geschäft wartet – und erst der Hintermann, der bestimmt ein Landsmann ist...? Dann folgen die nötigsten Hinweise zum Programm. „Und wo geht es genau hin?“ fragt ein Neugieriger. Natascha schweigt, das ist nun wirklich zu konkret. Woher soll sie das wissen; vor allem, warum muß er das wissen, meint ihr Gesicht. Genaueres läßt sich beim Reisebüro erfragen. Doch wo ist die Nummer? Sie findet sie nicht, hat sie auch nicht im Kopf, zu dumm... Wer würde einfach die Nummer preisgeben? Schließlich lauern überall nörgelnde Zeitgenossen...
Die ersten Reisenden werden ausgeladen. Wo ist Iwanow?“ „Sind Sie nicht Iwanow?“ will sie einem Verunsicherten eine neue Identität aufdrücken. Er wehrt sich. Iwanow ist verlorengegangen und Natascha beunruhigt. Am Flughafen hatte sie die Liste nicht überprüft und den außertourlichen Zusteiger unter Iwanow registriert. „Wird sich finden...“ meint sie. Gott sei Dank hat sie ihre innere Ruhe dann doch noch wiedererlangt. Klaus-Helge Donath
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