■ Standbild: „Sie dürfen zusehen“
„Die Grube“, Sonntag, 22.55 Uhr, ARD
Langsam schwenkt die Handkamera an einer Gruppe von Kindern entlang. Die meisten sitzen auf dem Fußboden. Einige weinen, andere blicken mit leerem Blick ins Objektiv. Ein kleiner Junge lacht artig, als die Kamera ihn streift, einem Säugling laufen die Tränen übers Gesicht. So beginnt das Doku-Drama „Die Grube“. Später wird man sehen, wie ein blankgewichster Soldatenstiefel einen regungslosen Babykörper anstößt und langsam über den Fußboden schiebt.
Die grobkörnigen Schwarzweißbilder sind die einzigen dokumentarischen Originalaufnahmen eines Kriegsverbrechens, über das Karl Fruchtmann einen anderthalbstündigen Film gemacht hat: Im August 1941 erschießen deutsche „Einsatzkommandos“ in der Nähe von Kiew 900 Juden. Ihre Kinder werden vergessen. Der Feldpfarrer wird durch ihr Weinen und Schreien auf die verdurstenden Kinder aufmerksam, die in einem Bauernhaus in zwei Zimmern eingesperrt sind, und protestiert bei der Heeresleitung über die unmenschlichen Zustände. Die Kinder werden daraufhin auf Lastwagen fortgeschafft und „ordnungsgemäß“ exekutiert.
Fruchtmann hat darauf verzichtet, den Massenmord nachzustellen – wie Spielberg in „Schindlers Liste“. Nur einige kurze Einstellungen von einem ausgehobenen Massengrab, einem Kleiderhaufen, einem Blutfaden im Gras assoziieren das Massaker. Statt dessen läßt er Schauspieler aus Vernehmungsprotokollen der beteiligten Soldaten zitieren, ein Verfahren, das an Peter Weiß' „Die Ermittlung“ erinnert. Die Schilderungen der Erschießungen gehen so viel mehr unter die Haut, als wenn Fruchtmann sie als Spielhandlung inszeniert hätte.
Gerade Kleinigkeiten aus den Erinnerungen der Soldaten machen die unmenschliche Absurdität des Massenmordes erst vorstellbar: „Sie dürfen zusehen“, erlaubt man einem Soldaten, der bei einem Spaziergang zufällig von der Exekution erfährt. Ein anderer schreibt seiner Frau, daß er „keine Blutwurst mehr mag“, seit er „im Feld“ ist.
Nach solchen Zitaten schneidet Fruchtmann wieder zu den paar Dokumentaraufnahmen der vergessenen Kinder. Zu einer normalen Sendezeit kann man einen so unerträglich eindringlichen Film den deutschen FernsehzuschauerInnen offenbar nicht mehr zumuten. Tilman Baumgärtel
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