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Soziale Stimme fehlt

■ betr.: „Blüm frißt Arbeitslosen die Haare vom Kopf“, taz vom 23. 10. 95; „So gut geht's den Sozialschmarotzern“, taz vom 26. 10. 95

[...] Die Befürchung ist berechtigt, daß dies nicht der letzte Ton im großen Streichkonzert zu Lasten der Benachteiligten in unserer Gesellschaft war, zumal in den nächsten Monaten kaum Wahlen anstehen. Solange in Deutschland eine soziale Stimme fehlt, die diesen Menschen den Rücken stärkt, werden mit Sicherheit immer neue Kürzungsvorhaben auf den Tisch gezaubert. Deshalb unser Appell an die Verantwortlichen: Statt immer am falschen Ende zu sparen, müssen endlich Gesetzesentwürfe auf den Tisch, die sich mit der Schaffung neuer und der Sicherung bestehender Arbeitsplätze in unserem Laden befassen. Wolfgang Lütjens, Pressespre-

cher der Deutschen HIlfe für

Kinder von Arbeitslosen e.V.,

Hamburg

Ich war froh und erleichtert, daß Ihr diesen Beitrag von Focus über die vielen angeblichen „Sozialschmarotzer“ aufgegriffen und objektiviert habt. [...]

Aber der dickste Hund ist die vorangegangene Radiowerbung auf Privatsendern mit dem Satz: „80 Prozent der Sozialhilfeempfänger sind Schmarotzer – Fakten ... lesen Sie das Focus-Magazin.“ [...] Empört über diesen Werbeslogan rief ich beim dem Münchener Privatsender der „Jazz-Welle“ an, der mir bis zu diesem Zeitpunkt als sozialkritischer Sender bekannt war. Ich wurde aber eines Besseren belehrt. O-Ton Redakteur: „Wir haben unsere Sendestunden erweitert und brauchen viele Werbeeinnahmen ... Focus ist ja ein seriöses Magazin und zahlt sehr gut ... Da könnte ja jeder kommen und sagen, die Werbung paßt mir nicht.“ Ergo – mit entsprechendem Geld und angeblicher Seriösität ist es also ein leichtes, verfälschte, rechtslastige Slogans unter die Menge zu jubeln. S. Latzel, Sozialarbeiter

[...] Das Urteil differenziert; das Vorurteil sagt: „90 Prozent der Arbeitslosen wollen nicht arbeiten“ oder „Arme sind an ihrer Armut selbst schuld.“ Dabei wimmelt es in dem Focus-Artikel von „Schmarotzern“ und „Betrügern“, während in einem Nebensatz zur Sozialhilfe von einer Mißbrauchsrate von 15 bis 20 Prozent gesprochen wird. Das heißt doch, daß es 80 Prozent wirklich Bedürftige gibt. Ist es nun gerecht, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe immer mehr zu kürzen, weil man auch an anderer Stelle zuviel ausgibt und ausgegeben hat und damit auch viele von denen weiter zu benachteiligen, die diese Leistungen völlig zu Recht beanspruchen? Denn mehr fällt den Politikern offenbar nicht ein. Wahrlich ein Trauerspiel.

Der taz bleibt zu wünschen, daß sie sich weiter für Arbeitslose und sozial Schwache einsetzt. Werner Leucht, Neckarsulm

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