: Islamist verschwindet in Zagreb
Ein Ägypter wollte nach Bosnien, doch da kam er nie an. Seine Gesinnungsgenossen vermuten ihn beim ägyptischen Geheimdienst ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Talaat Fuad Qassims Geschichte liest sich wie eine Mischung aus Krimi und Spionage- Roman, gewürzt mit Mudschaheddin-Kämpfern, Geheimdienstkontakten und halboffiziellen Entführungen.
Alles hatte ganz harmlos begonnen. Talaat Fuad Qassim, einer der Gründer der militant islamistischen Organisation „Gamaat al-Islamiya“, verließ am 12. September Dänemark. Sein Ziel: Bosnien, wo er seinen islamistischen Kampfgefährten besuchen wollte. Einen Tag nach seiner Ankunft in der kroatischen Hauptstadt Zagreb wurde er von den Behörden aufgrund von „Unregelmäßigkeiten mit seinen Papieren“ verhaftet. Seitdem ward er nicht mehr gesehen.
Die kroatischen Behörden behaupten, ihn freigelassen zu haben – mit der Auflage, das Land unverzüglich zu verlassen. Bei seinen Brüdern in Bosnien ist Qassim nie angekommen. Die wiederum behaupteten noch Wochen nach der Festnahme, daß Qassim weiter in kroatischer Haft säße und von dem ägyptischen und dem US-Geheimdienst verhört werde.
Ihre Antwort blieb nicht aus: Am 21. Oktober explodierte im kroatischen Adriahafen Rijeka eine Bombe, bei der eine Person ums Leben kam und 29 verletzt wurden. Kurz darauf bekannten sich die Gamaat al-Islamiya zu dem Anschlag.
Tags darauf erreichten die Spekulationen über Qassims Verbleib einen neuen Höhepunkt. Es wurde bekannt, daß die dänische Botschaft in Tel Aviv dem israelischen Außenministerium am 18. Oktober offiziell ein Schreiben zukommen ließ, in der sie sich nach Qassims Verbleib erkundigte. Die in London erscheinende arabische Zeitung al-Hayat spekulierte daraufhin, ob der israelische Geheimdienst Qassim in Zagreb entführt habe, um anschließend mit Ägypten ins Geschäft zu kommen.
Am Wochenende bekam die Geschichte einen weiteren Dreh. Eine ägyptische Bruderorganisation der Gamaat al-Islamiya veröffentlichte eine Erklärung, in der sie behauptet, daß Qassim in einer der Zentralen des ägyptischen Geheimdienstes in Kairo sitze und gefoltert werde. Kroatiens Botschafter in Kairo ließ nur vermelden, daß bei der Verhaftung Qassims alles mit rechten Dingen zuging. Die dänische Botschaft und die ägyptischen Behörden hüllen sich in Schweigen. Der ägyptische Innenminister Hassan al-Alfi antwortete vor wenigen Tagen auf die Frage nach dem Verbleib Qassims mit Ausflüchten: Es sei im öffentlichen Interesse, nicht darüber zu sprechen. Die ägyptische Presse scheint sich an diese Anweisung zu halten. Bisher ist dort keine einzige Zeile über den Fall zu lesen.
Daß die Führer der militanten Gruppen aus dem Ausland ihre Operationen dirigieren, ist kein neues Problem für Kairo. Seit Monaten fordern ägyptische Diplomaten in europäischen Hauptstädten, den einschlägigen Persönlichkeiten politisches Asyl zu verweigern. Mit Vorliebe weisen sie dabei darauf hin, daß sich das Blatt auch schnell für die Gastgeber wenden kann. Sie deuten dabei auf das spirituelle Oberhaupt der Gamaat al- Islamiya, Umar Abdar-Rahman, der in den USA für einen Anschlag auf das World Trade Center in New York verurteilt wurde. Auch die neuesten Anschläge in Frankreich hinterlassen in Kairo ein „Wir haben es ja immer gewußt“- Gefühl.
Bisher hatten die ägyptischen Diplomaten wenig Erfolg. Sowohl Dänemark, Schweden als auch Norwegen, lehnten bisher derartige Begehren ab. Ein besonderer Dorn im Auge ist Kairo der in der Schweiz lebende Führer der ägyptischen Gihad Organisation Aiman Sawahiri, der regelmäßig von sich durch Erklärungen im Namen des Gihad in der arabischen Presse Reden macht. Gihads zweiter Mann, Hani as-Sayyid As-Suba'i lebt derzeit in Norwegen.
Während die politische Führung in Europa sitzt, scheinen sich die militärischen Planer der militanten Islamisten eher im Sudan, Jemen, Pakistan und Afghanistan aufzuhalten. An der Spitze der ägyptischen Gesuchten-Liste steht Mustafa Hamsa, der angeblich den Anschlag vor wenigen Monaten auf den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geplant haben soll. Die sudanesische Regierung leugnet, daß Hamsa sich im Sudan aufhält. Die ägyptischen und die äthiopischen Behörden bestehen allerdings darauf, daß Hamsa unter dem Namen Abu Hasim im Sudan lebt.
Kaum Zugriff bekommen die ägyptischen Behörden auch auf ihre militanten Gegner in Afghanistan. Dort lebt nicht nur Muhammad Schauqi Istambouli, der bis heute aktive Bruder des Mörders Sadats. Auch der besagte Mustafa Hamsa lebte zunächst dort. Einmal wurde er von der Regierung von Burhaneddin Rabbani in Kabul festgenommen. Bei einem Besuch Rabbanis im November 1993 in Kairo, einigte man sich auf die Auslieferung Hamsas. Die Rechnung wurde allerdings ohne Rabbanis größten Konkurrenten in Afghanistan, Gulbuddin Hekmatjar gemacht. Es ist überliefert, daß Hekmatjar Rabbani drohte, ganz Kabul niederzubrennen, wenn Hamsa nicht unverzüglich an ihn übergeben werde. Hamsa wurde übergeben und setzte sich ab.
Doch Kairos Bemühungen waren nicht vollkommen fruchtlos. Nach inoffiziellen Schätzungen sollen fast 100 Gesuchte in den letzten Monaten aus asiatischen und arabischen Staaten ausgeliefert worden sein. Vor wenigen Tagen übergaben die pakistanischen Behörden acht in Peschawar festgenommene Ägypter an Kairo. Die meisten der bisher Übergebenen gehören der zweiten und dritten Garde der militanten Islamisten an. Sollte Talaat Fuad Qassim tatsächlich in einer von Kairos Geheimdienstzentralen sitzen, wäre dies der bisher größte Erfolg der stillen ägyptischen Auslieferungsdiplomatie.
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