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Wohnen, witzig inszeniert

Am Fuße des Kreuzbergs liegen die „Katakomben“, ein Möbelhaus mit schrillem Design neben schlichter Strenge, viel Kunst und ein wenig Mode  ■ Von Anja Dilk

Ein dumpfes Muhen zittert durch den goldbestickten Chiffonvorhang. Verwaschenes Stimmengewirr legt sich darüber. Eine Rauminstallation im Möbelhaus, zwischen unverputzten Backsteinsäulen, Kunst und Wohndesign. Irgendwo ein farbenfrohes Sitzensemble aus Blütensesseln, harmonisch arrangiert auf grünem Kunstgrasimitat. Darüber Hirschköpfe in Reih und Glied. Ein einarmiger Thronsessel aus grünem Alcantara steht an die Treppe gelehnt. Von der Wand leuchtet Michelangelos Adam übergroß von Copy-Light- Lampen. Schwere steinere Findlinge haben sich, knautschigen Kissen zum Verwechseln ähnlich, auf italienischen Velourssofas zur Rast gelegt. Über dem massigen roten Samtsofa hängen goldene Froschköpfe auf rote Samtquadrate gesteckt. Inszenierte Wohnkultur. „Ich möchte Wohnen peppiger, lebensnaher machen“, sagt Andrea Harre, „wohnen heißt nicht nur einfach drauf sitzen, sondern damit leben. Deshalb zeigen wir Möbel in Verbindung mit Kunst. Möbel inszeniert, nicht langweilig in die Ecke gequetscht.“

Andrea Harre ist Geschäftsleiterin der „Katakomben“, einem versteckten Möbelhaus am Fuße des Kreuzbergs. Seit 1991 wird das alte Kellergemäuer der Schultheis- Brauerei als Möbelgeschäft genutzt. Was früher ein Lagerraum für Bierfässer und Pferdestall zugleich war, bietet heute ein stilvolles Ambiente für barock geschwungene Stühle und italienische Designermöbel. Die Katakomben wollen exclusiven, neuen Ideen in Kunst und Design einen Rahmen zur Präsentation geben. Massenware gibt es hier nicht. Sondern Witziges, Individuelles, Exclusives, das auch qualitativ gut ist. Wie das ornamental gemusterte Chesterfieldsofa aus England, das man sich nicht nur in x verschiedenen Bezügen, sondern auch in beliebigen Größen anfertigen lassen kann. Manches allerdings ist mehr Kunstobjekt denn Einrichtungsgegenstand. Wie das Kußmundbettzeug aus fleischfarbenem Latex. Oder das Schnuller-Sofa in körpergerechter Formung.

Auf der Suche nach tollen Kollektionen und originellen Einzelstücken zieht Andrea Harre ein paarmal im Jahr durch die Welt, vor allem auf die großen internationalen Möbelmessen. Mailand, Valencia, Paris ... Inzwischen gibt es in den Katakomben ganz verschiedene Stilrichtungen. Von den strengen Formen des klassischem italienischen Designs à la Halifax, die Haute Couture der Blumengarnituren von Edra, über Landhausmöbel bis zu ausgefallenen Sachen wie dem Jailhouse-Gitterbett aus Naturstahl. Und natürlich: Berliner Designer. Wie Vogt und Weizenegger, deren Lichtkunstwerke längst professionell vertrieben werden. „Die meisten Leute bewerben sich einfach mit ihren Objekten, weil sie schon von uns gehört haben“, sagt Andrea, „aber letztlich wäre es ohne Kontakte zur Berliner Szene aussichtslos.“

Schrille Möbel und freche Ideen – das allein reicht nicht. „Oft sagen die Leute, ,Boah, hier sieht das natürlich toll aus, aber bei mir zu Hause? Bestimmt blöd!‘“, erzählt Andrea. Sie berät deshalb, wie man varieren könnte, was in die Wohnung paßt, damit es auch zu Hause toll aussieht. Je nachdem schaut sie sich die Wohnungen selbst an, macht Vorschläge oder sogar eine Mappe. Und natürlich kennt sie die richtigen Leute, um der Wohnung Pfiff zu geben: Gute Schweizer, Schreiner, jemanden, der klasse einen Ahornboden verlegen oder Wände verputzen kann. „Es muß nicht alles schrill sein. Wir haben auch ganz geradlinige, schlichte Sachen“, sagt sie. Nicht jeder möchte eben eine Lavakommode mit einen See on Top oder fühlt sich auf einem fliegenden Teppichsofa mit Tigermotiv wohl. „Aber ein Raum muß eine Harmonie haben.“ Am liebsten entwirft sie Innengestaltungen für Leute, die kommen und sagen: „Ich habe eine Menge leerer Zimmer, was fange ich jetzt damit an?“ Die Kosten für die Einrichtungsberatung werden individuell vereinbart.

Seit einiger Zeit macht die 25jährige auch Entwürfe für Kneipen, plant Happenings oder Feste. Für Events kann man die Katakomben mieten oder sich beraten lassen und sogar Möbel ausleihen. Und alle zwei- bis zweieinhalb Monate gibt es eine Ausstellung mit Vernissage in den alten Gewölben. „Denn wir wollen eine Brücke schlagen zwischen Ausstellungen, Möbeln, Kunst und Beratung“, sagt Andrea. Da gab es die Metallbilder von Tony Reason, die Lichtausstellung mit 260 Lampen oder die Pudelparty von der Kölner Designergruppe x 99. Da gab es auch schon mal Modepräsentationen, zum Beispiel mit den Berliner Designerinnen Lisa D. und Fiona Benett. „Mode ist wieder ein Anziehungspunkt für unsere Möbel“, sagt Andrea, „und schließlich leben wir alle gern mit schönen Sachen. Deshalb wollen wir die Ästhetik für die Wohnung und für den Körper miteinander verbinden.“ Das wird, wer weiß, vielleicht bald ganz konkret. In einer Ausstellung in ferner Zukunft soll die Mode aus denselben Stoffen wie die Möbel gearbeitet werden.

Katakomben, Monumentenstr. 24, Kreuzberg, Tel. 7855995, Mo.–Fr. 12–18.30 Uhr, Sa. 10–14 Uhr.

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