piwik no script img

Reinster Musikantenstadl

■ Das Leitthema der 9. Jüdischen Kulturtage ist die 3.000-Jahr-Feier Jerusalems - der israelisch-berlinische Publizist Tsafrir Cohen hält das für einen Affront der Jüdischen Gemeinde Berlins gegen die Friedensbemühu

taz: Die Feiern zum 3.000jährigen Stadtjubiläum Jerusalems haben international viel Kritik ausgelöst. Weshalb?

Tsafrir Cohen: Die 3.000-Jahr- Feier ist ein eindeutiger Versuch von Geschichtsklitterung. Dieser Rechnung liegt das angebliche Datum der Eroberung Jerusalems durch König David zugrunde. Die Stadt selbst existiert aber schon sehr viel länger als 3.000 Jahre. Durch die Festivitäten soll der jüdische Anspruch auf Alleinherrschaft in Jerusalem deutlich gemacht werden.

Wie kommt es, daß eine 3.000- Jahr-Feier jetzt stattfinden kann – zu einem Zeitpunkt, da sich auf anderen Ebenen eine Annäherung von Israelis und Palästinensern abzeichnet?

Reine Politik. Die 3.000-Jahr- Feier hat der konservative Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert initiiert, der sich immer dann hervortut, wenn es darum geht, arabische Bedürfnisse zu unterdrücken. Der Regierung in Tel Aviv ist im Moment überhaupt nicht daran gelegen, Jerusalem so hoch zu hängen.

Die 3.000-Jahr-Feier wird doch aber auch vom Staat ausgerichtet.

Von der Stadt und vom Staat. Das ist eine schwierige Sache, weil die Regierung aus politischen Gründen nicht offen sagen kann, daß sie kein Interesse an Jerusalem hat. Über die Golanhöhen oder die Autonomieverhandlungen hat man auch nicht gesprochen. Das sind teilweise sehr schmerzhafte Prozesse, die den Menschen langsam beigebracht werden müssen.

Überschätzen Sie die Bedeutung der 3.000-Jahr-Feier nicht etwas?

Der Friedensprozeß in Israel befindet sich derzeit in einem höchst labilen Stadium. In so einer Situation wird Kultur zu einer unheimlich wichtigen Angelegenheit. Kultur kann aber nicht dazu da sein, im nachhinein Fakten zu schaffen, Machtansprüche zu erwecken oder zu stärken. Die meisten Israelis interessieren sich gar nicht für Jerusalem.

Wie ist die Stimmung in Jerusalem?

In Jerusalem kocht es. Die Palästinenser boykottieren die 3.000- Jahr-Feier. Jerusalem ist eine geeinte Stadt, in der nichts geht. Es gibt dort keinen einzigen Bus, der von Ost nach West fährt. Und das in einem Land, in dem die öffentlichen Verkehrsmittel sehr viel wichtiger sind als in Deutschland. Die Stadt ist absolut getrennt. Wenn Freunde kommen, gehst du nicht in die Oststadt, und falls doch, sprichst du Englisch, damit dich ja keiner erkennt. Niemand in Ostjerusalem, und das betrifft dreißig Prozent der Bevölkerung, geht zur Wahl des gemeinsamen Bürgermeisters. Die Palästinenser fühlen sich von ihm einfach nicht vertreten.

Wie steht es um das kulturelle Leben in Jerusalem?

Es gibt nicht viel Kultur in Jerusalem. Kein gutes Theater, keine gute Tanzgruppe, keine Filmemacher. Die meisten Wissenschaftler, die an der Jerusalemer Universität lehren, wohnen in Tel Aviv.

Wie empfinden die Anhänger des Friedensprozesses in Israel die Feiern in Jerusalem?

Für die ist es ein Affront, eine Unverfrorenheit. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung hält die 3.000-Jahr-Feier für absurd.

Gab es in Israel öffentliche Proteste gegen Jerusalem 3.000?

Literaten wie Yitzak Laor oder der populärste Schriftsteller in Israel, Sami Michael, haben aufs schärfste protestiert. Benni Ziffer, der bedeutendste Literaturkritiker des Landes und Feuilleton-Chef von Ha'aretz nannte die Veranstaltung in einem seiner Artikel eine Hehlerei.

Was bedeutet es, wenn nun die Berliner Jüdische Gemeinde ihre Kulturtage unter das Motto „Jerusalem 3.000“ stellt?

Ganz klar: Damit fällt sie den Friedensbemühungen der israelischen Regierung in den Rücken. Wie erklären Sie sich diese Haltung?

Die Idee der jüdischen Nation besagt, daß alle Juden in Israel leben sollten. Juden, die in Deutschland wohnen, haben ein schlechtes Gewissen. Die müssen ihre patriotische Gesinnung doppelt und dreifach beweisen. Das kann zu keinem kritischen, vernunftbestimmten Verhältnis zu Israel führen.

Welche Auswirkungen hat das auf das Programm der diesjährigen Jüdischen Kulturtage in Berlin?

Sehen Sie sich doch zum Beispiel mal das Musikprogramm an. Das ist der reinste Musikantenstadl. Damit bedient man nur die Jiddel-Middel-Fiddel-Bilder, die deutsche Nichtjuden sich so gerne von Israel machen. Ofra Haza, wie oft ist die schon hier gewesen? Klezmer ist nur in Deutschland populär. In Israel sind diese Gruppen völlig unbekannt. Oder die Vortragsreihe: Nur Religionswissenschaftler nehmen daran teil – andere Leute hat man in Israel dafür nicht finden können.

Ist nichts mehr zu retten?

Natürlich nicht, das Programm steht doch. Der Fehler liegt im Ansatz – 3.000 Jahre Jerusalem, das Thema macht einen kritischen Diskurs unmöglich. In Berlin hat man das auch offensichtlich eingesehen, aber man hat von der Idee nicht losgelassen. Wenn man hier unbedingt Jerusalem behandeln will, hätte man es in einem anderen Jahr machen sollen. Und dann hätte man auch palästinensische Kultur zeigen müssen. Interview: Ulrich Clewing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen