: Nachträgliche Legitimation eines Völkermordes
■ Eine Diskussion über den Bosnien-Krieg bot Einmütigkeit vor wenigen Gästen
Um eine Diskussion daraus zu machen, fehlte jemand aus dem Hause konkret oder ein anderer Vertreter mit festen Feindbildern. So waren sich bei der gestrigen Podiumsdiskussion über den Bosnien-Krieg in den Hamburger Kammerspielen alle Parteienvertreter in der Analyse des Geschehens einig. Der Sozi mit dem „Ich-bin-der-gute-Fürst“–Auftreten, Freimut Duve, der engagierte Bremer Interventions-Befürworter der Grünen, Ralph Fücks, und der edle Ritter der CDU und stolze Träger eines kroatischen Ordens, Stefan Schwarz.
Nach einer kurzen Lesestunde bosnischer AutorInnen unterhielten sich die drei sowie die Publizistin Ulrike Ackermann und Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung auf einem festen Konsens-Fundament über die Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten des Krieges.
Daß es hier keinen ethnischen Konflikt, sondern einen rassistischen Krieg der Serben gegen die Bosnier gebe; daß verdrängte Ängste eines neuen kolonialen Wettlaufs die europäischen Regierungen an einem gemeinsamen Vorgehen gehindert haben, weil Briten und Franzosen die Serben gegen die Deutschen und ihre vermeintlichen Partner, die Kroaten, meinten stützen zu müssen; daß die Teilung Bosniens nach den Friedensplänen der Kontaktgruppe eine nachträgliche Legitimation des Völkermordes und der Eroberungspolitik der Serben darstelle; daß nur die staatliche Integrität Bosnien-Herzegowinas, gekittet durch ein Interregnum, die Zeit für ernsthafte Verhandlungen über eine Rückgängigmachung der ethnischen Säuberungen erlaube – all dies war unstrittig.
So unterschied man sich denn auch nur in den stimmungsmäßigen Einschätzungen des gerade begonnenen Friedensprozesses. Freimut Duve zeigte Optimismus mit der Behauptung, daß das Ende des Krieges die Rückkehr der Vernunft erlaube. Stefan Schwarz malte lieber die Horrorvision eines falschen Kompromisses an die Wand, der die Konfrontation nur verlängert, statt beendet. Und auch Ralph Fücks befürchtete den Untergang eines bosnischen Staates, weil er, zwischen kroatischen und serbischen Territorien eingeklemmt, nicht überlebensfähig sei.
Die emsige Ohnmacht auf dem Podium bemerkten leider nur wenige Zuhörer. Der Völkermord in Bosnien paßt eben nicht in steife linke Wahrnehmungsmuster, analysierte Fücks das Schweigen traditioneller Protestbewegungen. Die Lektionen der Geschichte gelernt? Von wegen. Till Briegleb
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