piwik no script img

Der Zeitpunkt ist günstig, die Siedlungen aufzulösen

■ So zynisch es klingen mag: Für den Friedensprozeß könnte die Ermordung Rabins die Chance bedeuten, die radikalen Rechten und Siedler endlich zu isolieren

Ein Land im Schockzustand. Stunden nach dem Attentat scheinen die meisten Israelis die Nachricht noch nicht verdaut zu haben. Ihr Ministerpräsident ist tot, erschossen von einem Israeli. Das, was man nie für möglich gehalten hatte, obwohl es so oft angedroht worden war, ist Wirklichkeit geworden. Die arabischen Fernsehstationen unterbrachen gestern ihre Programme. In Kairo, Amman und Gaza atmete man auf, daß der Mörder kein Araber war. In den arabischen Nachbarländern war der israelische Kriegsheld Rabin nie besonders beliebt. Aber man mußte auch dort zur Kenntnis nehmen, daß er einer der wenigen war, die überhaupt Bewegung in den arabisch-israelischen Konflikt gebracht hatten. Und man wußte, woran man mit ihm war. Was Jitzhak Rabin ankündigte, setzte er meist auch durch.

Nun stellen sich derzeit alle, ob in der arabischen Welt oder in Israel, die für die Zukunft der Region entscheidende Frage: Was bedeutet die Ermordung Rabins durch einen radikalen israelischen Rechten für den Friedensprozeß? Wird die blutige Tat den schleppenden Rückzug der israelischen Armee aus der Westbank und dem Gaza-Streifen und die Verhandlungen über den Abzug israelischer Truppen aus dem Golan beschleunigen, oder kommt mit Rabins Tod erneut alles zum Stehen?

Die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten könnte, so zynisch es auch immer klingen mag, eine Chance für den Friedensprozeß bedeuten. Das, was nach dem Massaker von Hebron, bei dem der radikale rechte Siedler Baruch Goldstein 29 Palästinenser in einer Moschee erschoß, versäumt wurde – die Isolierung der radikal rechten Siedlerbewegung –, könnte jetzt nachgeholt werden. Der Zeitpunkt ist günstiger denn je. Der Mörder Rabins, Yigal Amir, der nach eigenen Angaben unmittelbar im Auftrag des Herrn unterwegs war, brach ein innerhalb der israelischen Rechten geltendes Tabu: Vergieße niemals das Blut eines anderen Juden, auch wenn es dein erbitterter politischer Gegner ist!

Yigal Amir war wie Goldstein aktiv in der Siedlerbewegung in der israelisch besetzten Westbank. Aber schien der Regierung Rabin nach dem Massaker von Hebron vor inzwischen fast zwei Jahren ein Einschreiten gegen die rechten Siedler noch zu riskant, kann die Regierung nach der Ermordung Rabins nicht mehr umhin, zur Tat zu schreiten. Eine Kampagne gegen die Rechten könnte jetzt auch deren Aufmarschgebiete und Siedlungen aufs Korn nehmen. Damit könnte die israelische Regierung zum ersten Mal den Versuch unternehmen, das Problem der Siedlungen, eines der Haupthindernisse im Friedensprozeß, mit der Unterstützung der Mehrheit der Israelis ernsthaft anzugehen.

Konsequentes Vorgehen gegen rechte Siedler

Doch wer kann die Isolierung der Rechten, die zwangsläufig mit einer Auflösung der Siedlungen enden muß, im Land durchsetzen? Genau das machte die Bedeutung der Person Rabins aus. Nach dem politischen Motto, nur ein Hardliner kann fortschrittliche Veränderungen durchsetzen, konnte eben nur der konservative Rabin der Mehrheit der Israelis Zugeständnisse in der Frage „Land gegen Frieden“ abgewinnen. Er war für viele eine Art Vaterfigur, mit der man nicht immer übereinstimmt, auf den man am Ende aber doch hört. „Israel ist verwaist“, beschrieb das die israelische Tageszeitung Maaref am Morgen nach der Ermordung Rabins.

Kann sein vorläufiger Nachfolger, der bisherige Außenminister Schimon Peres, das gleiche vollbringen? Peres wurde zwar von arabischer Seite immer gegenüber Rabin bevorzugt. Aber viele Israelis trauen ihm nicht, betrachten ihn als zu nachgiebig gegenüber arabischen Positionen. Er spreche mit zu vielen Zungen, meinen sie.

So hat die Ermordung Rabins eine Situation geschaffen, die nach Veränderung schreit. Der Mann jedoch, der Veränderungen hätte durchsetzen können, ist tot. Bei dem Massaker in Hebron hat Rabin die Gelegenheit verpaßt. Seine Hinterlassenschaft wäre ungleich größer, wenn er damals mit Entschiedenheit gegen die Rechten vorgegangen wäre. Mit der Auflösung einiger weniger Siedlungen hätte er jenen irreversiblen Schritt getan, den der Friedensprozeß so dringend braucht. Jetzt ist er tot, ohne seine Arbeit konsequent zu Ende gebracht zu haben. Vielleicht war es sogar jenes Zögern, das viele Israelis am Friedensprozeß zweifeln ließ und das ihn am Ende das Leben kostete.

Bleibt offen, ob Peres durch die Ermordung Rabins an Glaubwürdigkeit gewinnen wird. Vielleicht aber findet sich ein neuer Hardliner mit dem Willen zur Veränderung, der in die Fußstapfen Rabins tritt und der aus dem Zögern seines Vorgängers Schlüsse gezogen hat. Im Moment ist er allerdings nicht in Sicht. Jetzt wird erst einmal wieder die Person gegen das Ereignis und das Ereignis gegen die Person ausgespielt. Vielleicht ist der Schock über das Ereignis so groß, daß es für die Mehrheit der Israelis keines Hardliners bedarf, diesmal konsequent gegen die Siedlerbewegung vorzugehen. Karim El-Gawhary, Jerusalem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen