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Der Mönch im Zirkus

■ Modelleisenbahner haben die Welt im Griff: Mit Miniaturpersonal läßt sich des ganzen Lebens Fülle nach- und neuschöpfen Von Julia Kossmann

Franz Budzinski neigt sich liebevoll beflissen über eine Gruppe von Fußballfans, die triumphierend die Fäuste ballen und enthusiastisch ihre rotschwarzen Fahnen schwenken. Eine junge Mutter, die ein Baby an sich drückt, nimmt er zur Hand und stellt sie etwas abseits der fröhlichen Schar, die ja das Kleine aufwecken könnten. Ja, Franz Budzinski hat – während draußen der graue Novemberhimmel schwer auf die unverrückbare Betonwucherung namens Allermöhe II drückt – seine Welt, und was darauf so kreucht und fleucht, im Griff.

Dabei hilft ihm der „Preiser“, ein Standardwerk mit dem Untertitel „Miniaturfiguren. Automodelle. Zubehör für Modelleisenbahnen“ – eine Dokumentation des Alltagslebens in klein. Standardsituationen von Baustellen über Kaufläden bis zur widerstrebenden Kuh auf der Rampe eines Viehtransporters zeigt der Katalog so erstarrt, als hätte Dornröschen sich gerade mit der Spindel in den Finger gestochen.

Der 53jährige Budzinski ist Modelleisenbahner und dadurch zugleich Architekt für Landschaften, Straßen, Dörfer und Städte en miniature. Entlang der Strecken seiner Modellbahn arrangiert er gruppendynamische ebenso wie verkehrstechnische Szenarien – kurzum: Franz Budzinski macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt.

Während dem stillen Mann – im wirklichen Leben Gatte, Vater zweier Kinder und von Beruf Angestellter in einer großen Versicherung – die Gestaltungsmöglichkeiten seiner direkten Umwelt abhanden kamen, herrscht er in seiner gedanklich hermetischen Sinnenklave uneingeschränkt. Weder Gattin noch Abteilungsleiter und mittlerweile nicht mal mehr die eigenen Kinder vermögen ihm in seine Inszenierungen hineinzupfuschen.

Denn ist die Welt eine Puppenstube, läßt sich darin autarker regieren als es Regisseure vor der Ensemble-Idee auf deutschen Bühnen taten. Über die verschiedensten Projektionen auf Miniaturpersonal aller Art, mit dem sich des ganzen Lebens Fülle auch in einem Wohnklo mit Kochnische nachschöpfen läßt, fabulierten schon Poeten von Hans Christian Andersen bis Charles Bukowski. Doch solche Abstraktionen liegen dem Modellbau-Fan weniger nah als das schlichte haptische Erlebnis, Autobahnraststätten, Bahnübergänge, Feuerwehreinsätze, Zirkusvorstellungen oder Konstellationen wartender Bahnreisender – „sitzend, stehend, gehend“ im Angebot – mit eigenen Händen zu gestalten.

Seine literarische Phase hat Budzinski hinter sich. Vor Jahren arbeitete er intensiv an der Ausgestaltung seiner einst jugendlichen Karl-May-Phantasien, als er nämlich noch auf Western-Loks stand. Damals ließ er einen daumennagelgroßen Old Shatterhand mit Lex-Barker-Antlitz seinem Blutsbruder Winnetou, der Pierre Briece wie aus dem Gesicht geschnitten glich, zur Hilfe eilen.

Doch seit dem Umzug nach Allermöhe II liegt die Westernbahn in stabilen Kisten eingemottet im Keller. Irgendwann wird es Budzinski Junior schaffen, das gute Stück dem Papa zu Weihnachten aus den Rippen zu leiern.

Inspiriert von des „Preisers“ lebensnahem Sortiment und mit seiner vor wenigen Jahren angeschafften Anlage mit ICE-Zügen und modernsten Container-Güterbahnen, spielt der Audi-Fahrer Budzinski für sich durch, was Verkehrspolitik ist. Und dabei merkt er manchmal sogar – anders als seine VertreterInnen in Senat oder Bundesregierung –, daß Autobahnen mithin einen unschönen Strich durch die Landschaft machen. Eine BAB reicht ihm mittlerweile auf dem Brett, wenngleich es ihm in der Wirklichkeit noch immer nicht genug sein können.

Aggressiv aber können ihn weder Verkehrsberuhigung noch längere Fahrten auf Landstraßen machen. Budzinski ist Gemütsmensch und keiner, der die Faust in der Tasche ballt. Er hat sein Feld zum Sublimieren gefunden, während er tagsüber seiner Kundschaft ausmalt, gegen welch– vielfältige Gefahren sie sich noch absichern müssen.

In manchem unbeobachteten Moment aber schlägt dann der Miniaturbaumeister über die Stränge. Er fabriziert die schönsten Katastrophen oder er probiert aus, wie zehn dicke Franziskaner-Mönche aus Elastolin in einer Zirkusarena wirken oder schwerbewaffnete Polizisten niedliche Schafherden vor sich her treiben.

Doch der Westentaschenarchitekt Franz Budzinski ist trotz allem ein erstaunlicher Mann, der unlängst auch die Grenzen ins wirkliche Leben beinahe humorvoll zu überschreiten begann. Zu Weihnachten bastelt er für seine Frau eine Brosche mit der Gruppierung „korpulente Passanten“, die Tochter bekommt ein silbernes Gliederband, verziert mit einem Dutzend Badenixen und Schwimmer, und für den Sohn entwirft er einen Schlüsselanhänger mit presslufthämmerndem Tiefbauarbeiter.

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