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Bewegung in der Tundra

■ Lafontaine taugt nicht als Symbol für die alte BRD

Da sind sie wieder, die Ostexperten, und geben Oskar Lafontaine gute Ratschläge: Er habe kein Verhältnis zum Osten und denke nach wie vor in den Kategorien der alten Bundesrepublik. Das müsse er ändern.

Bei soviel Ostverbundenheit muß man unwillkürlich an den alten Adenauer denken. „Östlich der Elbe beginnt die Tundra“, hat der gesagt, und das gilt heute noch für viele. Glaubt jemand, daß Kohl, Kinkel oder Scharping wissen, wo die Tundra liegt? Waigel, Schäuble, Gerhardt – denkt da einer nicht in alten Kategorien? Rühe, Rexrodt, Rau, Fischer – irgendeiner, der nicht der pure Westen ist? Blüm, Simonis, Süssmuth, Sager – riecht da irgend etwas nach Osten? Ist es nicht so, daß Lafontaine für fast alle im Westen steht, sind nicht drei Viertel des Landes nach wie vor alte Bundesrepublik?

Symbolhaft zeigte das der FDP-Parteitag im Juni 1994. Dort war einer der drei Stellvertreterposten für einen Ostdeutschen reserviert. Die Delegierten nahmen das hin, obgleich alle drei Kandidaten aus dem Osten sie nicht interessierten. So haben sie teilnahmslos irgendeinen Unbekannten gewählt. Dieses Ereignis war ein perfektes Resümee von fünf Jahren „Zusammenwachsen“: Der Osten war in der totalen Anonymität angekommen und vollständig geschluckt. Was sich bei den Bundestagswahlen 1993 und danach in NRW abgezeichnet hatte, wurde durch den FDP- Parteitag bestätigt: Die alte Bundesrepublik war wieder bei sich selbst angekommen. Jetzt, 18 Monate später, gibt es eine Chance, den eingefahrenen Politikbetrieb durcheinanderzubringen.

Oskar Lafontaine könnte mit einem unverkrampften Verhältnis zur PDS den Entwicklungen im Osten neue Dynamik geben. Was Höppner in Sachsen-Anhalt angefangen hat und Ringsdorff in Mecklenburg-Vorpommern will – eine Politik jenseits von Großen Koalitionen –, könnte zur Normalität werden. Dann droht der CDU in der ostdeutschen Parteienlandschaft die Isolation, ein Ereignis, von dem auch Bonn nicht verschont bliebe. Und so fordern selbst Christdemokraten wie Horst Rehberg, CDU-Fraktionsvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern, das „andere Politikverständnis“, das im Osten gewachsen und das dem „eingefahrenen Verständnis westdeutscher Funktionäre überlegen“ ist, endlich zur Kenntnis zu nehmen. So gesehen taugt Lafontaine nicht mehr als Symbol für die alte Bundesrepublik. Er könnte vielmehr dazu beitragen, daß der Osten aus seiner Anonymität wieder heraustritt und in der neuen Republik einiges in Bewegung bringt. Jens König

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