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: Pleitegeier

„Wenn der Kuckuck kommt...“, Mittwoch, 21.15 Uhr, Hessen3

Wenn der Gerichtsvollzieher zweimal klopft, ist der Aufschwung endgültig dahin. Die Gestrandeten der freien Marktwirtschaft besuchten Katrin Aehnlich und Walter Brun in der Boomtown Leipzig. Ihre Reportage verblüffte durch die Offenheit, mit der sie sich dem Phänomen des bargeldlosen Geschäftsverkehrs näherten. Da lauerten keine Pleitegeier den Tränen der Opfer auf, da wurde auch keine diffuse Jammerstimmung kultiviert, sondern es ging um strukturelle und persönliche Fehler. (Ganz nebenbei: Im Osten bekommen nur halb so viele Leute den Kuckuck geklebt wie im Westen.)

Die Tour mit den beiden gerichtlichen Vollstreckern quer durch die gesellschaftlichen Schichten war auch ein kleines Lehrstück über den individuellen Egoismus, der nach Adam Smith' Theorie den allgemeinen Wohlstand befördert. Hier machten seine „unsichtbaren Hände“ jedoch einen Griff ins Klo. Ein Ex-Betriebskaderleiter erzählt von der Mauschelei mit einer Studienkollegin. Kaufst du meine Versicherungspolice, nehm' ich dir dein Lexikon ab – eine tragische Beziehung, bis daß die Rechnung sie schied –, „aber letztlich war ich selbst dran schuld“. Ein Mieter beklagt, daß er binnen 30 Minuten zwangsweise seine Wohnung räumen muß – und „vergaß zu sagen, daß er seit zwölf Jahren keine Miete zahlte“.

Doch auch die überall als Köder ausgehängten „Heute kaufen – irgendwann zahlen“-Schilder sorgten für die rechte Kaufsucht in der anfänglichen Deutschmark-Euphorie. Anleger ließen sich auf Darlehensgeschäfte mit Luft-Renditen bis zu achtzig Prozent ein. Im feudalen Schneider- Objekt „Mädler-Passage“ geht der Konkurs-Klabautermann um. Riesige Verkaufsflächen auf der freien Wiese graben den Innenstadtläden das Wasser ab, aber reden wolle keiner darüber, so eine Geschäftsfrau: „Jeder möchte kämpfen, solange er kann.“

Arbeitslosigkeit, Naivität, Spekulation, falsche Strukturpolitik – es gibt viele Namen für das, was oft als Schicksalsschlag verdrängt wird. Die Autoren skizzierten die Probleme aus nüchterner Distanz, fügten den Beobachtungen keine besserwisserischen Kommentare hinzu. So entstand ein Panorama, das zwar im Osten der Gründerzeit spielt, doch dieses Leipzig ist überall. Dieter Deul