: 666 Erwartungsbefriedigungen
Das Männermedium „Videotext“: Lauter Hotlines für Single White Males ■ Von Tilmann P. Gangloff
„TEO“ klingt nach Mann, und das hat seinen Grund: TEO ist zwar bloß das Kürzel für „Television Organizer“, und dahinter wiederum verbirgt sich der Videotext von RTL2, der nichts anderes ist als eine elektronische Programmzeitschrift; die aber ist männerfixiert, und auch das hat seinen Grund: Videotext ist ein Männermedium.
Bei nahezu allen Sendern ist das Verhältnis der VideotextnutzerInnen 60 zu 40 (oder noch deutlicher). Und TEO bedient den Herrn der Fernbedienung bestens: Spielfilme werden hier nicht nach Qualität bewertet, sondern nach Erwartungsbefriedigung. Ob der Erotikfilm gut oder schlecht ist, ist nebensächlich; der Mann an der Fernbedienung ist offenbar in erster Linie daran interessiert, „wieviel Erotik“ ihm geboten wird. Bei dieser Gelegenheit läßt sich dann noch prima ein bißchen Werbung machen („Übrigens: noch mehr Spaß und Erotik gibt's bei...“). Und da Videotext zum Surfen einlädt, wird auch auf ein „Pressethema“ verwiesen. Dort findet man eine sexistische Werbung für die Zeitschrift Wochenend („Nymphomaninnen und Jungfrauen: Sexfotograf Marvin Bush kriegt sie alle“). TEO ist übrigens ein Joint-venture zwischen RTL2 und einem der Gesellschafter des Senders, dem Heinrich Bauer Verlag (33,1 Prozent), gleichzeitig unbestrittener Marktführer im Bereich der Programmzeitschriften (TV Movie, TV Hören & Sehen und andere), auf die in TEO immer wieder hingewiesen wird.
Mittlerweile haben auch die kleinen TV-Sender den Videotextmarkt entdeckt und säbeln nach Kräften an einem allerdings vergleichsweise mickrigen Kuchen herum. Nun ist der Videotext zwar kein Lückenbüßer mehr, doch das Wortspiel liegt immer noch nahe, nicht nur weil er allein der Tatsache, daß nicht alle 625 Zeilen des PAL-Systems zur Übertragung von Bildinformationen genutzt werden, seine Existenz in der sogenannten Austastlücke verdankt. Seit 1980 wird Videotext verbreitet. Mittlerweile sind an die 20 Millionen TV-Geräte mit texttauglichem Decoder verkauft worden, aber nur rund ein Viertel dieser KäuferInnen nutzt das Medium.
Da die graphischen Möglichkeiten im Videotext aus technischen Gründen begrenzt sind (Kreise zum Beispiel sind nicht drin; es können nur gerade Linien gezogen werden), müssen sich die einzelnen Textanbieter inhaltlich profilieren. Pro7 und RTL2 tun dies, indem sie sich als elektronische Programmzeitschrift verstehen. Auch „Pro7- Text“ ist ein Joint-venture, und zwar mit dem Burda-Verlag, für dessen Publikationen mit dem gleichen Aufwand wie für die Bauer- Titel bei RTL2 geworben wird.
Bei aller Fernsehfixiertheit: Auch im Pro7-Text und in TEO kann man zur Genüge Anschluß bekommen. „Phone Parties“ und ähnliche Anbahnungsversuche prägen die Videotextangebote praktisch aller Privatsender. Meist handelt es sich dabei um verkaufte Werbung: Jeder Service dieser Art arbeitet mit einer 0190-Telefonnummer, wo eine Minute 1,15 Mark kostet. Firmen wie Legion (Tochter von Matra-Hachette) oder CompuTel (größter Gesellschafter: Axel Springer) verdienen auf diese Weise ihr Geld, denn sie kassieren natürlich den Löwenanteil der Telefoneinnahmen.
RTL hat gleich das komplette magische Dreieck aus Fernsehen, Fernbedienung und Telefon in seine Strategie mit einbezogen. Der RTL-Text ist ein Joint-venture von RTL mit der niederländischen Teleworld Holding. Allerdings weist Marco de Gast, Geschäftsführer der deutschen Teleworld Interactive Television „Sex im Text“ bringt gutes Geld in die Kasse
GmbH, weit von sich, mit den Anrufen der ZuschauerInnen von RTL-Text Geld zu verdienen. Zwar habe der RTL-Text eine eigene 0190-Telefonnummer, unter der man zum Beispiel Wetterinformationen abrufen oder sich an Gewinnspielen beteiligen kann, doch seien diese „Sprachmehrwertdienste“ nicht mit den Telefonangeboten von Firmen wie CompuTel oder Legion zu vergleichen.
Die diesjährigen Werbeerlöse, so deutet de Gast an, werden wohl deutlich jenseits von 5 Millionen Mark liegen. Nimmt man noch die Umsätze von Videotext-Marktführer Sat.1 hinzu, die der Markt auf 10 Millionen Mark schätzt (beide Sender wollen die konkreten Zahlen nicht veröffentlichen), wird deutlich, daß Videotext „kein Mickymaus-Geschäft mehr ist“ (de Gast).
Angesichts der in Aussicht stehenden Werbemillionen kann man tatsächlich davon ausgehen, daß sich der Videotext von RTL nicht in erster Linie mit telefonischen Einnahmen finanziert. Andere Firmen leben aber sehr wohl davon und offenbar auch nicht schlecht. Denn ein Großteil der regelmäßigen Nutzer von Videotext scheint nicht nur telefontüchtig, sondern auch notorischer Einzelgänger zu sein; anders sind die vielen angebotenen Anschlußofferten nicht zu erklären: „Blind Date: Live-Gespräche für 2“ (MPS); „Partnertreff: 2.000 Singles suchen neue Bekanntschaften“ (Legion); „Romantik am Telefon: Live Flirt Line“ (S.M.S.) mit dem Hinweis, nachts fände man auf diesen Seiten „andere erotische Nummern“, nämlich „die ganz heißen Hotlines“ („heiß“ blinkt dabei). Hinzu kommen diverse andere Serviceleistungen im Sinne von „Man's World“ („Er sucht ihn“, MPS).
Und dann gibt es noch Angebote, die auf den ersten Blick mit Sex gar nichts zu tun haben, zum Beispiel: „Ihr chinesisches Horoskop, erstellt von Kuang C. Wang“ (Legion) oder „Dr. Gerti Senger rät in Sachen Liebe“. In dem Service von CompuTel finden sich allerdings nur Hinweise auf Horoskope, Love-Lines und Stauprognosen – von Gerti keine Spur.
Beim gemeinsamen Videotext von ARD und ZDF hingegen setzt man vor allem auf das seriöse Image. Eine Schlagzeile wie „Liebte Jackie Schwager Robert?“ (Sat.1) wäre hier undenkbar. Schmuckstück des ARD/ZDF- Textdienstes ist der „TV-Guide“, der im Rahmen der letzten Funkausstellung eingeführt wurde. Er bietet im Prinzip den gleichen Service wie TEO, also eine Rubrizierung des Programmangebots nach farbig sortierten Sparten wie „Information/News“, „Sport“, „Kultur/Kirche“, aber ausschließlich für öffentlich-rechtliche Sender (bislang sind das neben ARD und ZDF die Kulturkanäle arte und 3sat sowie die Dritten Programme von WDR und BR; die anderen Dritten sollen folgen).
Auch im ARD/ZDF-Videotext stolpert man mitunter über Unregelmäßigkeiten. Unter dem Stichwort „Ihre Kritik“ zum Beispiel ließ sich einfach nichts finden, und eine Weltuhr ist manchmal „derzeit nicht im Programm“. Ohnehin scheint Videotext in erster Linie etwas für TV-ZuschauerInnen zu sein, die sich zwar ein teures Gerät mit Videotextdecoder, aber keine Tageszeitung leisten können. Buch- und Filmkritiken, Kochrezepte oder der Service „halbstark!!“ („Das Videotext-Programm für junge Leute“ bietet Witze, Rätsel und Rezepte) bewegen sich auf eher dürftigem Niveau. Immer wieder amüsant ist hingegen, daß ARD und ZDF die Einschaltzahlen traditionell ab Seite 666 zeigen – Quoten sind eben Teufelszeug.
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