: Vorschlag
■ Karambolage in der Rush- hour: das Theater Rotwelsch inszenierte flanzendörfers „Wrackmente“
Harald Pilar von Pilchau in der „Wrackmente“-Inszenierung Foto: Thomas Aurin
Da bringt sich ein Literat, Maler und Filmer mit 25 um, nachdem er (fast) sein ganzes Werk vernichtet hat. Spurenlos wollte er immer sein – keine Türschilder, dauernde Umzüge, Schauplatz dieses rastlosen Lebens war der Prenzlauer Berg. 1986 sprang flanzendörfer (eigentlich: Frank Lanzendörfer) in den Tod. Die Texte, Bilder und Collagen, die vom Feuer verschont blieben, haben Peter Böthig und Klaus Michael 1992 veröffentlicht. Das Theater Rotwelsch hat aus einigen Texten eine szenische Collage gezimmert. „Ich stehe auf verlorenem Posten, in einem Krieg, der nicht meiner ist“, schreibt flanzendörfer in einem autobiographischen Poem. Auf der Bühne fällt dieser Satz hinter einer geschwungenen Plexiglaswand. Wasser perlt vor dem Sprechergesicht die durchsichtige Fläche herunter. Da steht einer in seinem Gefängnis, und auch die Sprache hilft nicht mehr heraus. Einer der wenigen Momente, wo Worte plötzlich sinnfällig werden in dieser Aufführung. Ansonsten begegnen Winni Victor und ihre Truppe ihrem Gegenstand mit Avantgarde-Standard. Ein mit Papaier und Bleistiften übersäter Küchentisch soll den Hinterhofkosmos vom Prenzlauer Berg symbolisieren. Um ihn herum und auf ihm drauf zerhacken drei schwarzbehoste Sprecher die aneinandergestückelten Gedichte. Gewiß, flanzendörfer ist schwer beizukommen. Er schiebt die Wörter ineinander, als hätte er nicht genügend Papier. Jede Assoziation wird überlagert von der nächsten und übernächsten. Konstrukte wie eine Massenkarambolage in der Rush-hour. Er kämpft verbissen darum, sich selber in Worte zu fassen: Eine bockharte, selbstmitleidlose Schlacht. Stoff zuhauf also für eine Visualisierung. Vor allem, wenn der Anspruch einer „biographischen Collage“ erhoben wird. Doch im Theater nur wohlchoreographierte Stilspiele ohne schmerzende Kanten. Mein Tip: das Buch kaufen (erschienen bei janus press). Gerd Hartmann
Theater Rotwelsch, „Wrackmente“, 28.11. bis 2.12., 20 Uhr im Theater am Halleschen Ufer.
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