■ Querspalte: Das kleine Glück auf Festplatte
Es lebe das gute alte Tagebuch! Abgewetzt und eselohrig, aus dem Leim geraten und tintenverschmiert trägt es in seiner ganzen Scheußlichkeit doch jederzeit die Aura höchster Intimität. Man kann es wegschließen, in der Brusttasche über dem Herzen tragen, verbrennen, im Aquarium versenken. Wo immer man es aufbewahrt: Niemand Fremdes würde es jemals lesen ohne das Gefühl der Verletzung von Privatheit. Tagebücher sind heilig. Sie sind biografische Schatzkisten.
Computerfestplatten sind alles andere als heilig. Sie sind seelenlose Massenparkplätze für Buchstaben, virusverseuchte Datenfriedhöfe, alphabetische Flimmerware. Was aber, wenn ein Mensch, noch dazu ein niederländischer Zollbeamter der Stadt Emmen, auf die glorreiche Idee kommt, auf seiner Festplatte Tagebuch zu führen? Was aber, wenn die Kollegen und Vorgesetzten diese Aufzeichnungen im Dienstcomputer finden, ausdrucken und ungeniert lesen? Was aber, wenn sie in diesen privaten Aufzeichnungen entdecken, daß der Tagebuchführer seine Vorgesetzten für gewaltige Arschlöcher hält? Was aber, wenn sie deshalb den Zöllner fristlos entlassen?
Ein Fall für Staatsanwalt van der Velde aus Assen. Der muß jetzt prüfen, ob hier analog zum Hausfriedensbruch der Straftatbestand des „Computer-Friedensbruchs“ erfüllt ist. Oder handelt es sich um Dateiendiebstahl, um Verletzung von Privateigentum? Gibt es eine intime Schutzsphäre auch auf der dienstlichen Festplatte? Wie kann sich der Tagebuchschreiber vor Hackern schützen?
Ein grundsätzliches Urteil steht an. Und eine neue Generation von Computern. Die alten haben zwar jede Menge Bytes und Bits und Megahertz und Pentiumprozessoren hinten und vorne, aber: Sie haben kein Herz! Keinen Schrebergarten für Gefühle. Kein Reservat fürs kleine Glück.
Sind wir denn alle gefühlskastrierte Bildschirmknechte? Bill Gates, hilf! Wo bleibt Windows '96 mit eingebautem Tagebuch für handschriftliche Notizen? -man-
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