: Kein "Feierabendtheater"!
■ Muß das Teatr Kreatur seine Arbeit in Berlin beenden? Der Förderer Allard Stupperich kann Hungerlohn für Kunst nicht dauerhaft verantworten. Ein Gespräch
Eigentlich ist Allard Stupperich „nur“ Theaterzuschauer. Als solcher lernte er vor etlichen Jahren Theaterleute kennen, die ihm von interessanten Ideen erzählten. Außerordentlich interessante Ideen. Deshalb mietete er 1987 am Tempelhofer Ufer eine Fabriketage an, die er mit den notwendigsten Bühnenmitteln ausstattete. So wurde Allard Stupperich Mäzen von Teatr Kreatur. Stupperichs Zuwendungen umfassen Sachmittel – Personalkosten sind nicht drin. Das Teatr Kreatur gehört zu den optionsgeförderten Gruppen. Die 30prozentige Kürzung der Fördermittel ab 1996 bringt das Ensemble nun in Existenzschwierigkeiten. Nur ein Viertel des vom Theater errechneten Minimalbedarfs wird von der Kulturverwaltung übernommen. Deshalb ein Gespräch mit dem Förderer zur Lage von Teatr Kreatur.
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taz: Sie halten es nicht für ausgeschlossen, daß am 23. 12. die letzte Vorstellung von „Der Prophet Ilja“ stattfindet und daß diese neueste Produktion von Andrej Woron die letzte von Teatr Kreatur hier in Berlin sein könnte. Sehen Sie wirklich keine Möglichkeit, mit Ihren Mitteln weiterzuarbeiten?
Allard Stupperich: Zahlen sind Fakten, und die lassen mir keine Wahl. Wer mutet mir zu, Künstler weiterhin zu ihrer Arbeit zu motivieren, für die sie 800 Mark monatlich bekommen? Unversteuert, unversichert! Diese Verantwortung kann ich nicht mehr übernehmen.
Teatr Kreatur erhielt bislang 570.000 Mark Optionsförderung jährlich. Ab 1996 sind es rund 400.000 Mark, wobei die Miete (bisher 45.000 Mark) von der Kulturverwaltung übernommen wird. Sind es tatsächlich die fehlenden 125.000 Mark, die Sie jetzt so verzweifeln lassen?
Wir hatten doch schon vorher keinen Spielraum. Durch eigene Einnahmen können wir nur ein Drittel unseres Minimalbedarfs decken, Teatr Kreatur finanziert sich im wesentlichen durch den Verzicht der Künstler. Das Problem ist nicht neu und wurde bei der Verleihung des Friedrich-Luft- Preises 1993 von Nele Hertling auch klar benannt. Der Kultursenator hatte sich damals sehr engagiert für den Erhalt des Theaters ausgesprochen.
Es ist einfach so: Künstlerische Anforderungen, wie sie Andrej Woron an sein Ensemble stellt, sind angesichts der finanziellen Situation vielleicht ein oder zwei Jahre zu rechtfertigen, aber nicht auf Dauer. Die Menschen im Teatr Kreatur arbeiten für einen Hungerlohn, und dann müssen sie noch – weil es die Probenarbeit nicht zuläßt – etwa ein lukratives Filmengagement ablehnen, auch wenn es nur drei Tage dauern würde.
Mit dieser Selbstausbeutung müssen auch andere Gruppen leben, leider.
Das Teatr Kreatur gehört zu den renommiertesten freien Künstlertheatern Berlins und ist weltweit beachtet. Wenn sich Berlin schon eine solche Gruppe nicht leisten kann – was bedeutet das denn dann für den Erhalt des künstlerischen Niveaus in der freien Szene insgesamt? Mir geht es um mehr als eine Einzelfallösung. Ein Notjahr ließe sich aus eigener Kraft noch überbrücken, wenn eine deutliche Entscheidung der Kulturverwaltung in Aussicht wäre, die Kunstförderung als einen besonders pflegebedürftigen Teil der Kulturförderung zu verstehen. Denn Kunst kann nicht kommerziell betrieben werden.
Das Teatr Kreatur ist als Aushängeschild für die Berliner Off- Kultur immer gut, und auf Tourneen, die über das Goethe-Institut organisiert wurden, waren wir im Ausland von Santiago de Chile bis Moskau auch ein Werbeträger für das aufgeschlossene Deutschland. Da muß es doch möglich sein, Mittel zusammenzubringen, mit denen wir überleben können. Sind 2.000 Mark Nettolohn für die Schauspieler etwa unbescheiden? Wir reden hier von der Bezahlung einer hauptberuflichen Arbeit, nicht von Feierabendtheater.
Warum macht Teatr Kreatur nicht mehr als eine Produktion im Jahr?
Andrej Woron inszeniert doch keine allen bekannte Theaterliteratur, sondern er erarbeitet ein Gesamtkunstwerk. So etwas schafft man nicht mehrmals im Jahr.
Wie steht es mit anderen Möglichkeiten – beispielsweise mit einer Saalvermietung?
Die Gruppen, die einen Raum suchen, haben doch selbst kein Geld.
Inzwischen liegen Andrej Woron auch Angebote vor, an großen deutschen Bühnen zu arbeiten. Leander Haußmann aus Bochum hat unter anderem angefragt. Sind da nicht Koproduktionen mit Gastspielen in Berlin denkbar?
In dieser Hinsicht gibt es derzeit verschiedene Überlegungen. Beispielsweise wollen wir mit dem Holland-Festival 1997 in Berlin eine Oper produzieren. „Seele aus Holz“ nach einem Roman von Jakov Lind. Aber die Frage ist ja nicht, in welcher Form das Teatr Kreatur weiterarbeiten kann, sondern ob der eigene Spielbetrieb in Berlin aufrechterhalten werden kann. Und das heißt: ein Ensemblespielbetrieb, der die ganze Kraft aller Beteiligten fordert.
Ab 1996 wird ein Sonderfonds für die sogenannte hauptstadtrelevante Kultur eingerichtet. Wäre das nicht auch ein interessanter Topf für Teatr Kreatur – eine Hilfe, die es ermöglichen könnte, in Berlin zu bleiben?
Für die „Leuchttürme“ ...
Nein, dieser Topf sollte ja gerade auch kleineren Projekten zur Verfügung stehen.
Aber uns geht es ja gar nicht um die Zuordnung zu bestimmten Töpfen. Anders als die Gruppen der Initiative „Geprüfte Theater“ wollen wir uns nicht darauf beschränken lassen, in den Finanzierungstopf für die Privattheater aufgenommen zu werden. Dann geht es statt der 9 Millionen, die für Freie Gruppen zur Verfügung stehen, eben um 14 Millionen Mark, die aber auch bereits ihre Abnehmer haben. So kommt man von einer Sackgasse in die nächste – außer der Etat würde erheblich aufgestockt. Im übrigen ist die derzeitige Privattheaterfinanzierung ja bis 1998 festgeschrieben.
Was also wäre als Soforthilfe für Teatr Kreatur denkbar?
Ich sehe, daß die Verantwortlichen im Kultursenat ihr möglichstes tun. Es wird beispielsweise ein Förderkreis für uns initiiert. Dieses Engagement der Kulturverwaltung, also von offizieller Seite, private Gelder zur Finanzierung für Künstlertheater oder auch allgemein Kunst zu bekommen, halte ich für zukunftsträchtig. Denn der einzelne weiß vielleicht nicht, daß Förderbedarf besteht. Und wenn er das weiß, weiß er vielleicht nicht, wohin er sich wenden soll. In einem kommunalen Programm könnte so etwas aufgefangen und gezielt verteilt werden.
Das leuchtet ein, aber soweit ist es leider noch nicht. Deswegen noch einmal die Frage: Wird es Teatr Kreatur in Berlin nach dem 23.12. noch geben?
Wir sind bereit, ein weiteres Jahr zu überbrücken, wenn wir vor Ende dieses Jahres ein deutliches Signal für eine Zukunftslösung erhalten.
Das Gespräch führten
Petra Brändle und Petra Kohse
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