piwik no script img

■ Zerreißprobe der Bündnisgrünen: Der Bosnien-Einsatz der Bundeswehr hat der Partei die turbulenteste Fraktionssitzung seit Jahren beschert. Die Linken zogen wütend aus. Im Bundestag stimmten 22 Grüne für die Bosnien-Mission, 22 dagegen.Fr

Zerreißprobe der Bündnisgrünen: Der Bosnien-Einsatz der Bundeswehr hat der Partei die turbulenteste Fraktionssitzung seit Jahren beschert. Die Linken zogen wütend aus. Im Bundestag stimmten 22 Grüne für die Bosnien-Mission, 22 dagegen.

Frieden in Bosnien – Krieg bei den Grünen

Großes Aufjaulen aus den Reihen der Unionsabgeordneten ist Joschka Fischer als Reaktion auf seine Reden gewöhnt. Neu für den Fraktionschef der Grünen dürfte die Reaktion seiner Kollegin Kerstin Müller sein, die gestern nach seinem Auftritt in der Debatte zum Bosnien-Einsatz demonstrativ keine Hand zum Applaus rührt. Müller ist sauer: Eine Mehrheit der Grünen-Abgeordneten droht dem Antrag der Regierung zuzustimmen, und sie hat dafür einen Verantwortlichen ausgemacht: „Kollege Fischer hat den Integrationskurs gebrochen.“

Drinnen im Plenum geht es um Krieg und Frieden, draußen im Foyer streiten die Grünen erbittert und unversöhnlich wie schon lange nicht mehr. Die Hälfte der Journalisten im Foyer jagt jedem halbwegs prominenten FDP-Politiker nach und fragt nach Ministerrücktritten. Die andere Hälfte umringt die Grünen-Abgeordneten und läßt sich erklären, warum über den Streit um den Bosnieneinsatz die alten Fronten wieder aufbrechen.

Zwei Versionen tischen die Kontrahenten darüber auf, was am Abend zuvor in der mehr als sechsstündigen Marathonsitzung der Fraktion passiert war. Verschwörungstheorien machen die Runde. So aufgeheizt ist die Stimmung, daß der Abgeordnete Gerald Häfner seinem Kollegen Ludger Volmer bei dessen Statement vor laufender Kamera direkt ins Wort fällt. Volmer aber bleibt bei seiner These, die drohende grüne Mehrheit für den Einsatz beschädige das Verhältnis von Fraktion und Partei: „Ich halte das für einen systematisch organisierten Affront.“

Klar ist nur, daß die Linke am Dienstag abend demonstrativ aus der Fraktionssitzung auszog, nachdem klargeworden war, daß eine Mehrheit der Fraktion für die Bundeswehr-Entsendung stimmen würde. Und das, obwohl der Parteitag noch wenige Tage zuvor mit deutlicher Mehrheit anders entschieden hatte.

Für die Fraktionslinke muß dies ein Alptraum gewesen sein. Die Mehrheit werde „mit Sicherheit nicht zustimmen“, hatte die Außenpolitikerin Angelika Beer noch vor der Sitzung selbstbewußt erklärt. „Erschrocken“ zeigte sich Fraktionssprecherin Kerstin Müller. Andere konnten es kaum fassen, daß der parlamentarische Arm der Friedenspartei mehrheitlich für Soldaten stimmen wollte. Mancher Abgeordneten kamen die Tränen.

Die Linken beteiligten sich nach der Fraktionssitzung nicht mehr an der Absprache darüber, wer die beiden Positionen der Fraktion im Parlament vertreten sollte. Christa Nickels fiel schließlich die undankbare Aufgabe zu, für die Pazifisten im Plenum zu sprechen. Nickels, Mitglied bei Pax Christi, hält eine sehr aufgeregte, über weite Strecken ziemlich wirre Rede, die im Plenum und der aufgeheizten Stimmung kaum einen Adressaten findet. Der Bundesregierung hält sie vor, auf alle Versuche zu verzichten, den Frieden in Bosnien mit gewaltfreien Mitteln zu einem selbsttragenden Prozeß zu machen.

Die prominenten Fraktionslinken aber wollen ihre Außenpolitik im Bundestag erst gar nicht begründen – nur noch „Legitimation“ für die durchmarschierenden Einsatzbefürworter wäre jedes grüne Argument gegen die Entsendung, meint Angelika Beer. Die Verweigerung können auch Mitstreiter kaum noch verstehen: „Eine Art von Crash-Politik“ sieht Winni Nachtwei in solcher Abstinenz, andere Einsatzgegner zeigen sich „entsetzt“. Die Jastimmen seien nach der Freigabe der Gewissensentscheidung schließlich „kein Verrat, sondern ehrlich“.

Den Bruch zu den Parteitagsforderungen aber wollen Ludger Volmer und Angelika Beer nicht durch eigene Auftritte kaschieren. „Riesiges Mißtrauen in der Partei“ sieht Kerstin Müller heraufziehen und sagt voraus, daß der Spielraum für die Fraktion künftig kleiner werde. Und was zwei Tage zuvor nur in internen Runden ein Thema war, wird jetzt offen ausgesprochen: „Es kann gut sein, daß die Forderung nach einem Sonderparteitag aus den Kreisverbänden kommt.“

Die Grünen im Bundestag eint da nur noch die Polemik eines Wolfgang Schäuble, die Unruhe und Zwischenrufe auslöst. Aber selbst bei Schäuble klatschen Gerd Poppe und Helmut Lippelt noch an manchen Stellen. Schäubles Forderung, die Grünen dürften sich jetzt nicht mehr an Veranstaltungen beteiligen, bei denen Soldaten als Mörder beschimpft werden, provoziert sogar Teile der SPD.

Als dann das Abstimmungsergebnis vorliegt, ist klar: Vier Abgeordnete, die wenige Stunden zuvor in der Fraktionssitzung noch ihr Ja zum Regierungsantrag begründet haben, enthalten sich der Stimme. Es gibt – ganz knapp – keine grüne Mehrheit für den Auslandseinsatz: 22 votieren mit Ja, 22 mit Nein und fünf enthalten sich.

Das Umfallen in letzter Minute wiederum regt einen so besonnenen Grünen-Abgeordneten wie Oswald Metzger derart auf, daß er von „Hasenfußmentalität“ redet, die er „schamlos“ findet, und das bloß, weil tags zuvor „die Linken ausgezogen sind“. Die „Enthalter“ Kristin Heyne, Michaele Hustedt, Albert Schmidt und Wolfgang Schmitt, schicken wenig später eine Erklärung an die Presse: Danach ist ihnen die „konstruktive Zusammenarbeit“ zwischen Partei und Fraktion so wichtig, daß sie nicht mit Ja gestimmt haben, obwohl die deutsche Beteiligung ihnen persönlich „notwendig und geboten“ erscheint.

Und obwohl die Aufregung dem Ergebnis gar nicht mehr angemessen ist, bindet Kerstin Müller die FDP-Krise und die Grünen- Krise in einem halb vorwurfsvollen, halb verwunderten Satz zusammen: „Angesichts einer so schwachen Regierung ist es ein Wahnsinn, daß die Grünen anfangen, sich in so einer symbolischen Frage zu zerlegen.“ Hans Monath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen