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Wenigstens der Ball fror mit

Wenn es um nichts mehr geht, geht es dem Autoren zu gut  ■ Aus dem Dortmunder Erlebnispark Thomas Lötz

Vergeßt alles, was sie Euch bisher über die „Champions League“ in dieser Zeitung erzählt haben. Blöd sei das, der totale Kommerz, ein unwürdiges Spektakel und so weiter. Alles Mumpitz, das Gegenteil ist der Fall. Jedenfalls wenn man sich selbst auf den Weg ins Dortmunder Westfalenstadion macht, um den deutschen Meister leibhaftig zu sehen und das Ganze nicht zu Hause via Reif-TV konsumieren muß. Seid versichert: Das ist Fußball als Erlebnispark.

Denn „Champions League“ in Dortmund ist wirklich aufregend. Schon die Anfahrtsbeschreibung, die der Pressekarte beilag, hatte es in sich: Fahren Sie in einem Dreieck mal eben durch ganz Dortmund, und, Verzeihung, aber leider hatten wir auf dem Plänchen keinen Platz mehr, wirklich alle Straßen draufzudrucken, weswegen Sie eine kleine Irrfahrt im leichten Schneeregen in Kauf nehmen müssen. Ein großes Glück ist es da für den Auswärtigen, daß alle Dortmunder zwar längst nicht mehr jede Zeche, dafür aber den Weg zum Stadion kennen.

Die Pressetribüne haben sie jetzt auf die Osttribüne umgelegt, weil oberhalb der alten Westtribüne seit geraumer Zeit an einem zweiten Balkon gearbeitet wird. Im Osten sitzt man dann also direkt unterm Dach, und am Platz liegt bereits der erste Zettel. Logos aller Sponsoren sind da drauf, dieses nette Champions-League-Sternen-Signet und mittendrin die Aufstellung. Guter Service, und Nachschub gibt's noch vor Spielbeginn: Der nächste Zettel mit der taktischen Aufstellung. Man wartet – bereits leicht angefroren – nur noch darauf, daß ein junger Mann in Champions-League-Jacke herbeiflitzt und nachfragt, ob er einem das Artikelschreiben abnehmen könne. War leider nicht. Statt dessen rückten vier fröstelnde Polizisten an und bauten ihre Videokamera auf, um eventuelles Fehlverhalten der Fans aufzunehmen. War aber auch nicht.

Endlich mal Zeit, aufs Spielfeld zu gucken. Tja, keine Rasenheizung, gefrorener Boden, das versprach doch lustig zu werden. Später erklärte BVB-Präsident Gerd Niebaum, daß man auch nicht plane, das zu ändern. Erstens wird ja gerade diese neue Über-Tribüne gebaut und zweitens: „Wir wollen den Unterhaltungswert solcher Spiele beibehalten.“

Damit brachte der erste Vorsitzende das Spiel pointierter auf den Punkt als sein Trainer Ottmar Hitzfeld und dessen Glasgower Kollege Walter Smith. Denn obwohl es, mal abgesehen von den 1,08 Millionen Mark im Siegesfall und immerhin der Hälfte dieses Sümmchens nach dem schlußendlichen 2:2-Unentschieden, für beide eigentlich nur noch um Nüsse ging, entwickelte sich ein ansehnliches Spiel – trotz der wetterbedingten Umstände. Das lag auch an den einzigen Spielern im Trikot der Gäste, die tatsächlich Fußball spielen können. An Brian Laudrup und Paul Gascoigne. Und sicher auch ein wenig daran, daß beim BVB mit Kohler, César und Sammer fast die gesamte Abwehr aufgrund von Verletzungen fehlten und der gute Heiko Herrlich im Stile der späten Claudia Leistner über den Rasen pirouettierte.

Wenn es nicht so kalt gewesen wäre! Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum Andy Möller nach dem Schlußpfiff den Trikottausch mit Gary Bollan verweigerte, es im Presseraum außer warmem Heineken-Pils nichts zu trinken gab und der alte Meckerfritze Paul Gascoigne eine Viertelstunde vor Ende des Spiels seinen ersten Platzverweis kassierte, seit er das Trikot der Rangers trägt. Aber irgendwo mittendrin tauchte dann wieder dieser nette junge Mann auf und verteilte Champions-League-Zettel: alle Ergebnisse des Spieltages mit Torschützen, Minuten, Auswechslungen und Platzverweisen. Und dann noch die komplette Statistik des Dortmunder Spiels. 65 Minuten Nettospielzeit. Dann hat der Ball also wenigstens auch 25 Minuten lang gefroren.

Glasgow Rangers: Goram - McLaren, Gough, Bollan, Robertson - Cleland (79. Durran), McCall, Gascoigne, Miller (82. McCoist) - Durie, Laudrup

Zuschauer: 35.800 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Laudrup (11.), 1:1 Möller (17.), 2:1 Riedle (48.), 2:2 Durie (85.)

Gelb-rote Karte: Gascoigne (78./Meckern)

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