: Weihnachten ohne Barbie
■ „Toys–R–Us“ feiert Rekordumsätze / SozialhilfeempfängerInnen und ihre Kinder schauen zu
4500 Quadratmeter bis zur Decke vollgestopft mit Spielzeug. Im Bremer „Toys'R'Us“-Markt auf der grünen Wiese, einer von weltweit 1.000 Filialen des US- Unternehmens, stapeln sich Barbies, Legos und Computerspiele in meterhohen Regalen. Seit Mitte Oktober rollt das Weihnachtsgeschäft. Jetzt wird die Hälfte des Jahresumsatzes gemacht. Das Personal wurde für die Stoßzeit verdoppelt. Die Preise sind aggressiv, das Sortiment ist riesig.
Quengelnde Kinder nerven. Ver- käuferinnen werden über Laut- sprecher ausgerufen. Neonlicht entzaubert das Weihnachtsange- bot. Susanne M. (alle Namen von der Redaktion geändert) gibt auf. Sie gehört zu den rund 6.000 alleinerziehenden Müttern in Bremen und Bremerhaven, die Sozialhilfe beziehen. Geld für Geschenke hat sie nicht.
Den kurdischen Vater ihres zweijährigen Sohnes hat die 28jährige vor die Tür gesetzt. Der habe sie tagsüber mit dem Kind allein gelassen und die Nächte im Café verbracht. Geld verdient habe er trotz aller Versprechen und einer Arbeitserlaubnis nicht.
Seitdem hat Susanne M. Pro- bleme. Mit ihrem sozialen Status und ihrem kurdischen Familien- namen ist es ihr unmöglich, eine Wohnung zu finden. „Alleinerziehende Mutter und Ausländerin – da wird man doch von den Leuten sofort in eine Schublade gesteckt“, sagt sie.
Von seiten ihrer eigenen Familie herrscht wegen des kurdischen Ehemanns sowieso Funkstille. Und als sich die Alleinerziehende vor kurzem in einem Bremer Mütterzentrum weigerte, 30 DM für den Spielkreis ihres Sohnes zu spenden, waren sogar die Kommentare anderer Mütter eindeutig: „Warum hast du das Kind überhaupt in die Welt gesetzt?“
Sabine M. ist enttäuscht vom Konsumterror. Weihnachten wird sie sich zurückziehen. Geplant ist allenfalls ein Besuch des Kinder- gottesdienstes. Anschließend gibt's für den Sohn Duplosteine und ein paar nützliche Kleidungsstücke. Am Abend dann wird sie genauso einsam sein wie vergangenes Jahr Silvester. Mit ihrem einjährigen Kind saß sie damals in der Wohnung fest, mutterseelenalleine, während ein Stockwerk über ihr lautstark gefeiert wurde – mit Krachern, Alko hol und Gelächter.
Im „Toys,R'Us“-Markt verkörpert eine Porzellan-Barbie einen Star aus dem Broadway-Musical „Stardust“. Der Preis von 1299,99 DM wird mit einer strengen Limi- tierung gerechtfertigt. Nichts für Ulrike W. Seit vier Monaten kämpft die 31jährige beim Jugendamt um das Sorgerecht für ihre beiden Kinder. Der Lebensgefährte hatte sie mit 20.000 DM Schulden sitzen lassen. Seit zwei Jahren lebt sie getrennt.
„Ich mute meinen Kindern keinen Alkoholiker zu“, sagt sie. Weil ihr „Ex“ aber in derselben Straße wohnt und mit Ulrike W.–s Nach-bar befreundet ist, muß sie die Saufgelage weiterhin hautnah miterleben.
Geld ist bei Ulrike W. knapp. 15.000 DM der Schulden hat die gelernte Textilverkäuferin bisher in Schwarzarbeit abgetragen. Ohne eine Mutter-Kind-Kur würde sie nicht mehr durchhalten. „Ich kann Mütter verstehen“, erzählt sie in einer Begegnungsstätte für Alleinerziehende, „die die Tür hinter sich zumachen oder die Kinder aus dem Fenster werfen. Ich bin kaputt.“
Egal, Weihnachten wird auch bei ihr stattfinden. Gefeiert wird zu dritt – ohne Vater, der inzwischen mit der „Neuen“ ein drittes Kind hat: „Wir machen –ne richtige Familie draus. Es gibt Klöße, Putenkeule, Gemüse und Eis, so wie sich das gehört.“
Von Verwandten und Bekannten hat sie Geld zusammengebettelt. Damit wird eine Ritterburg für Timo finanziert. Für die Tochter gibt es Puppenbett und -schrank vom Flohmarkt. Wünsche der markenbewußten Kinder wie Videokasetten, ein ganz bestimmtes Fahrrad und Batman können nicht erfüllt werden.
Zwischen den rund 18.000 unter- schiedlichen Artikeln im „Toys,R'Us“-Markt fällt ein Kinder-Elektroauto für 999,99 DM auf, mit Vorwärts- und Rückwärtsgang, Si- cherheitsgurt, Pedaltrommelbrem- se und Hinterradantrieb. Finan- zierbar mit einer Laufzeit von 18 Monaten, bei Monatsraten von 60 DM und einem effektiven Jahres- zins von 10,90 DM.
Für Petra T. alles „zu kommer- ziell“. Auf der Flucht vor dem ko- kainsüchtigen und immer öfter gewalttätigen Vater ihres kleinen Sohns ist sie in einem der Bremer Frauenhäuser gelandet. Ihr eigner Vater ist in den Irak zurückgegan- gen, die Mutter gestorben. Für Weihnachtsgeschenke hat die 23jährige kein Geld.
Erwartungen hat sie trotz aller Enttäuschungen. „Schön schummrig“ soll es Weihnachten im Frauenhaus werden: „Da holen wir uns einen echten Videorecorder und ziehen uns mit den Kids Trickfilme, heiße Schokolade und Plätzchen rein.“ Gaumenfreuden sind ihr wichtiger als dicke Geschenke: Zusammen mit den anderen Frauen und Kindern will sie „irgendwas ganz Tolles essen, Gemüse, viel Obst, Kiwis und Mangos.“
Auch Elvira A., 22, kann sich Mini-Trucks aus Plastik, Familien- PCs mit Lernprogrammen, Faxan- schluß und Anrufbeantworter, die 90 Zentimeter große „Barbie Braut“ und einen Dekolicht-Tan- nenbaum nicht leisten. Sie wird wieder für ihre Kinder basteln.
Diesmal wolle sie das Geschenk ihrem fünfjährigen Sohn, der bei Pflegeeltern lebe, unter allen Um- ständen persönlich überreichen, sagt sie bitter. Ein selbst genähter Stoffzwerg, im vergangenen Jahr vom Pflegekinderdienst in Empfang genommen, hatte Nick nie erreicht. Sabine Komm
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