: Reinigungsrituale
„Mythos für Millionen?“ Die unendliche Geschichte des VW-Käfers kann man jetzt als Video kaufen. Eine Art Nachruf zum 60. Geburtstag ■ Von Michael Rutschky
Bekanntlich war es nicht der Kapitalismus, der den Sozialismus niederkämpfte; denn das ist bloß eine Wirtschaftsform, keine Ideologie mit seelisch-sozialer Bindungskraft. Was den Sozialismus bezwang, das war der Konsumismus, die Verwandlung der Welt in die Warenwelt – worin bloß zu lustwandeln schon ein exorbitantes Vergnügen schenkt, das in der Planwirtschaft, einfach auf Befriedigung der Lebensnotdurft eingestellt, unbedingt ausbleibt.
Bekanntlich rangiert unter den Waren, über die der Bürger dann auch verfügen möchte, ganz vorn das Privatauto. Es wird noch eine Zeitlang unter uns weilen, was auch immer die Beobachter des Ozonorakels – im Sommer hier unten überreichlich, die ganze Zeit oben am Himmel abnehmend – über die schädlichen Wirkungen des Autoverkehrs zu äußern wissen. Mag sein, daß die Bourgeoisie massenhaft aufs Fahrrad umsattelt; die Arbeiterklasse weiß, was ihre Seele am Auto besitzt, und wird daran festhalten. So wird die Arbeiterklasse die Ökodiktatur der Fahrradfahrer zu verhindern wissen.
So muß der Ideologiekritiker umsatteln. Von ihm wird statt einer Entlarvung des falschen Bewußtseins die Betrachtung von Dingen verlangt, an denen gar nicht fälschlich das Bewußtsein, sondern die Liebe hängt. Die Bürger sind in die Dingwelt gebannt. Unterliegen Liebeswahlen aber der Kritik?
Meine Eltern erwarben niemals einen VW (im Gespräch war einst ein Lloyd „Alexander“ aus der Gattung der Leukoplastbomber, wenn ich mich recht erinnere, längst von der Evolution ausgeschieden, ebenso wie Seifenkisten). Ich glaube, meine Eltern hielten den VW für faschistisch; als ich meinen ersten erwarb – grasgrün, 500 DM, knapp 100.000 Kilometer gelaufen, aus dem Besitz der Arbeiterklasse in Berlin-Kreuzberg –, äußerte meine Mutter enttäuscht: „Ach, ich dachte immer, dein erstes Auto wäre ein Dö-Schewo?!“
Schon der Name „Volkswagen“ war verdächtig. Wer „Volk“ sagt, fährt mit „ein Reich! ein Führer!“ fort. Hitler hatte das Gerät „KdF- Wagen“ getauft und zur Befriedung der Arbeiterklasse bestimmt („Kraft durch Freude“: dieser umfassende Fun-Service der „Deutschen Arbeitsfront“). Später zeigte sich das Spaßauto auch beim Blitzkrieg als sehr nützlich.
Wie Werbefilme und Wochenschau-Aufnahmen lehren, reagierte der VW-Konzern in den fünfziger Jahren auf seine eigene Herkunft nicht einfach mit Abwehr. Zwar schaute das nach der Kriegszerstörung neu erbaute VW-Werk in Wolfsburg aus wie die Neue Reichskanzlei: noch größer! noch schöner! Aber die Kraft, welche die wachsende Zahl der VW-Besitzer aus der Freude am Autofahren zog, auch die Welteroberung, welche dem bundesdeutschen Autokonzern mit dem VW („anstatt“) gelang, riefen merkwürdige Reinigungsrituale und Gegenzaubereien hervor.
So erinnerten die Massen der VW-Arbeiter, die anläßlich des einmillionsten Käfers den Chef, Herr Dr. (später Prof.) Nordhoff, festlich umschwärmten, unverkennbar an gewisse andere Massenschwärmereien; bloß trug Dr. Nordhoff einen Zweireiher mit locker aufgeknöpftem Sakko und präsentierte sich ganz unzackig heiter. Bei dem Jubelfest wurden auch Folklore-Darbietungen aus den fernsten Ländern der Welt gezeigt, die der deutsche Wille zur ökonomischen Macht sich siegreich unterworfen hatte – aber der immer noch an der Blitzkrieg-Berichterstattung geschulte Off-Sprecher (den alle Wochenschauen der fünfziger Jahre hören lassen) lobt die Zwanglosigkeit der Veranstaltung, bei welcher die unterworfenen Völkerschaften uns erfreuten „mit ihrer schönsten Gabe: Sinn und Frohsinn ihrer Bürger in ihrer eigenen Art“. Statt Demutsbezeugungen gegen die Herrenrasse ...
Als Reinigungsritual erkenne ich auch diesen Werbefilm von 1953: Wie ein netter Bursche seinem hübschen Mädel während der Fahrt von der unglaublichen Million vorschwärmt. Versinnbildlicht wird die Automenge an der Kilometerstrecke von Europa über den Atlantik (einer an den anderen gestellt, würde eine Reihe ergeben, die ...): Über den Atlantik hat's bekanntlich der Führer auch nicht für den kürzesten Augenblick geschafft, dafür jetzt der VW!
Überhaupt, die USA. Ihre Leidenschaft für den Käfer machte ihn restlos ehrlich. Indem VW die USA eroberte, wurde die BRD vorbehaltlos Teil des amerikanischen Imperiums. 1968 brachten die familialistischen Disney-Studios „The Love Bug“ heraus, worin ein Käfer noch irrwitzigere Metamorphosen vorführt als James Bonds Superschlitten, und das auf nette, ulkige Art, zum Vergnügen der ganzen Familie, nicht nur des männlichen Teils (James Bonds Gadgets sind ja nichts für Mutter & Tochter). In den USA besetzte der VW den Platz, den bei unseresgleichen der Dö-Schewo einnahm, das Auto für Studenten und Intellektuelle mit abweichenden Meinungen – wenn das der Führer wüßte!
Der Soziologe Heinz Bude meint, um bei der Ausforschung des Konsumismus weiterzukommen, sollten wir uns die Dinge selber anschauen (statt bloß ihre Beziehungen untereinander, denen zufolge der VW zum Beispiel das Auto für die junge Familie war oder der Zweitwagen für die Dame, deren Herr einen Benz steuert und so weiter). In dem Kompilationsfilm, den Gandulf Hennig und Manfred Breuersbrock – seinerzeit Autoren des vielbesuchten Films „Rendezvous unterm Nierentisch“ – zum 60. Geburtstag des Käfers montierten und den wir als Kassette eingefleischten Fans zum Geschenk machen sollen, gibt der ehemalige Art-director Paul Wollman dazu zwei gescheite Hinweise.
Erstens, gemessen an den amerikanischen Standards, die Widerstandslosigkeit, Unmerklichkeit des Fahrens auszeichnen, behielt der VW-Käfer etwas pionierhaft Holzgeschnitztes. Verglichen mit dem totperfekten US-Auto, sagt Wollman, wirkte er wie ein selbständiges Lebewesen. Das Fahren blieb fühlbar, der Fahrer erlebte sich als Teil der Natur – das erste Auto für Jean-Jacques Rousseau.
Zweitens, der Käfer war seiner Gestalt nach eigentlich ein komisches Auto. Statt – wie die Großen – mit Seriosität und Power zu prunken, stimulierte er Lach- und Kuschelwünsche (die Disneys Filme für das Familienglück breit ausmalte). Damit entsprach er natürlich dem Kinderwunsch nach einem Auto; er stellte das Spielzeugauto für den Erwachsenen dar, nach dem er sich als Kind einst, das unbrauchbare Spielzeugauto hin- und herrollend „brrm! brrm!“, gesehnt hatte. Die Lach-, Kuschel- und Kinderwünsche bilden den stärksten Gegenzauber wider die NS-Herkunft. Statt mit Panzerarmeen und Wunderwaffen wie Hitlers Reich meldet die BRD ihre Weltgeltung mit einem Knuddelauto an – hier wäre als Parallelfall die Mißerfolgsgeschichte des Trabi einzutragen, der auch keinen Knuddelwunsch ausließ. Bloß, daß er stank.
Der Kompilationsfilm von Henning und Breuersbrock zum 60.Geburtstag verläuft strikt rühmend, versteht sich. So bleibt die Frage unberührt, weshalb die Produktion des Käfers eingestellt wurde. Schön und gut, die Perfektion seiner Gestalt ist der Perfektion der Coca-Cola-Flasche ebenbürtig – aber die Colaflasche ist immer noch in Gebrauch. Dagegen ist der 60jährige Love Bug seit langem ein toter Käfer.
„Mythos für Millionen. Die witzigsten, besten und schönsten Highlights aus der Geschichte des VW- Käfers“. Kaufvideo von Manfred Breuersbrock und Gandulf Hennig. 45 Min., Neue Pathos Film 1995, 39,95 DM
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