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Urnengang auf Bajonetten

■ Trotz aller Widerstände hält Moskau am Wahltermin in Tschetschenien fest

Am 17. Dezember sollen in Tschetschenien Wahlen stattfinden, so hat es der Kreml beschlossen. Das Volk ist aufgerufen, nicht nur ein neues Staatsoberhaupt zu bestimmen, sondern auch seine Vertreter für das föderale Parlament in Moskau zu wählen. Kaum eine ernst zu nehmende Kraft im Land hält Wahlen zum jetzigen Zeitpunkt für sinnvoll. Ruslan Chasbulatow, der am Wochenende seine Kandidatur für die Präsidentenwahl zurückzog, brachte es auf den Punkt: Für die Wahlen seien keine politischen Voraussetzungen geschaffen worden. Sie könnten die Republik spalten und zu einem neuen Bürgerkrieg führen, sagte der ehemalige russische Parlamentschef. Die Wahlen sollten von allen realen Kräften gemeinsam vorbereitet werden, sonst werde daraus eine Farce, die nur Schaden anrichtete, meint der Vorsitzende der Vaterlandspartei „Daimochk“ Letscha Umchajew. Er zählt zu den gemäßigten Kräften, die sowohl in Opposition zu Dudajew als auch zum Moskauer Marionettenregime stehen. Umchajew hat die Hoffnungen auf Unabhängigkeit nicht aufgeben. Am liebsten sähe er die Frage durch ein Referendum geklärt. Daimochk ist eine der größeren Parteien der etwa 50 politischen Organisationen und Bewegungen der Republik. Sie hat zum Wahlboykott aufgerufen, obwohl Umchajew mit sich hätte reden lassen. Eine Verschiebung um zwei Monate und Abkopplung von den Dumawahlen. Bisher hält Moskau am Vorhaben fest.

Sogar der russische Unterhändler in den Fiedensverhandlungen, die im Juli zu einem brüchigen Waffenstillstand führten, Arkadij Wolskij, warnte vor einem übereilten Urnengang. Doch hört keiner auf ihn. Moskau will sich den Konflikt vom Hals schaffen, zu kostspielig ist er geworden, die Armee hat im Kaukasus ihr ganzes Jahresbudget verballert. Nun versucht man den Konflikt zu „regionalisieren“, ihn auf die tschetschenischen Streitparteien abzuschieben.

Selbstverständlich ist man sich in den Schaltzentralen in Moskau auch nicht über das Vorgehen einig. Die Kriegspartei möchte die Angelegenheit auf ihre Weise weitertreiben. Verteidigungsminister Pawel Gratschow liebäugelt wieder mit einem Endschlag. Die Armeeführung konnte sich bisher mit dem Waffenstillstandsabkommen nicht so recht anfreunden, sie hätte eine militärische Lösung vorgezogen. Den Falken im Kreml paßten die Gespräche, die den Status der Republik betrafen, im Anschluß an die Friedensvereinbarung überhaupt nicht. Nach und nach gerieten sie ins Stocken. Nach dem Attentat im Oktober auf den russischen Unterhändler General Romanow wurden die regelmäßigen Treffen ganz eingestellt. Auch auf den Vertreter Präsident Jelzins vor Ort, Oleg Lobow, und Doku Sawgajew, den Kreml-Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes in Grosny, wurden Anschläge verübt, alle mit derselben aus Sowjetzeiten bekannten Handschrift. Es half nicht gerade, Gerüchte zu entkräften, die Pläne seien in Moskau geschmiedet worden, um eine friedliche Lösung zu vereiteln.

Doku Sawgajew sprach sich noch im Oktober gegen vorschnelle Wahlen aus. Lediglich regionale Räte wollte er wählen lassen, die elementare Aufgaben in den Provinzen regeln sollten. Denn auch er weiß, Wahlen auf Bajonetten können kaum demokratisch genannt werden. Jelzin zitierte ihn nach Moskau. Nach alter Sowjetmanier kehrte er mit ausgetauschter Meinung heim.

Sawgajew ist bei den Präsidentenwahlen nun der einzige ernsthafte Bewerber. Um als neuer Chef bestätigt zu werden, reicht die einfache Mehrheit. Gültig wird der Urnengang bei einer Beteiligung von 25 Prozent. Die lassen sich durch Drohungen und Verheißungen sowie ein wenig „Nachhelfen“ wohl einfahren. Zumal Selbstverständlichkeiten nicht geklärt sind. Wie viele potentielle Wähler gibt es? Vollständige Listen konnten in dem Chaos nicht erstellt werden, sollten wohl auch nicht. So dürfen Flüchtlinge in den Nachbarrepubliken ebenfalls teilnehmen. Schon vorab steht fest: Ein annähernd demokratisches Mandat kann der Staatschef in spe nicht für sich reklamieren. Moskau interessiert das nicht. Sind die regionalen Wahlen gelaufen, kann der Kreml die Verantwortung auf die Tschetschenen abwälzen. Gleichzeitig wird man die Stimmabgabe zur Duma als ein Votum zum Verbleib der Republik in der Russischen Föderation deuten. Klaus-Helge Donath

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