piwik no script img

„Der ist doch so ein fescher Bub“

Jörg Haider, Chef der rechtsextrem-populistischen „Freiheitlichen“, verspricht, in Österreich aufzuräumen. Im Bierkeller dürfen ihn seine Anhänger bewundern: Es sind normale Durchschnittsbürger  ■ Aus Wien Daniel Asche

Die beiden kräftigen Männer in den schwarzen Lederjacken frösteln und grinsen betreten: Zutritt nur mit Karte heute abend; bitte die Einladung vorzuzeigen, der Herr; wenn der Jörgl kommt, müssen wir genau sein. Der Bierkeller „Zum fröhlichen Augustin“ liegt zwei Stockwerke unter der Erde, eine schöne Freitreppe führt hinab, da wird FPÖ-Chef Jörg Haider nachher heruntergeschritten kommen. Draußen schneit es heftig. Ein Plakat verrät: Sonst ist hier Boogie-Woogie-Time.

Es ist die letzte Wahlkampfwoche, gerade streiten die fünf wichtigsten Parteichefs live im Fernsehen für ein besseres Österreich. Danach gibt es dann eine „After- TV-Party“ mit Dr. Jörg Haider. 200 Menschen haben hier im Keller Platz. Noch ist der Saal nur halb voll, alles lauscht dem Schaukampf im Fernsehen. „Es ist schon eine tolle Sache, eine Opposition zu sein, die eigentlich regiert“, sagt der Jörg auf der Mattscheibe. Ein befriedigtes Glucksen geht durch die bierselige Anhängerschar an den Eichentischen: So ist's recht, Jörgl; gib's ihnen nur, den Sozialschmarotzern!

An der Wand hängt ein kolorierter Stich von anno 1755: „Wiener Hetz-Theater“ steht da in gemalten Lettern. Man sieht Stiere und Löwen, die gegeneinander um ihr Leben kämpfen. Hoch zu Roß sitzt ein rüstiger Ritter mit Lanze. Und der rüstige Jörgl im Fernsehen sticht mitten in die Ausführungen der grünen Spitzenkandidatin hinein: „Schieben Sie, Herr Bundeskanzler, nur konsequent die ausländischen Straftäter ab, dann haben Sie kein Problem mehr in Österreich!“

„Haider Jörgl“ sieht sich als einzigen in diesem Land, der noch die Wahrheit sagt, den einzigen, der die Sorgen und Nöte der Unterdrückten kennt. Selbstdefinition der „Freiheitlichen“-Bewegung (F), die aus der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) hervorgegangen ist: „Die F steht für die fleißigen, anständigen und demokratischen Österreicher.“ Wie sagte der Jörg doch neulich: „Vor mir braucht keiner Angst zu haben, der kein Spitzbube ist.“

26 Prozent der Österreicher wollen nach neuesten Umfragen am 17. Dezember Jörg Haider und seiner FPÖ ihre Stimme geben. Es könnten aber auch mehr werden: Ein Drittel der Wahlberechtigten hat sich noch nicht entschieden. Viele sprechen bereits von einer Richtungswahl. Denn die „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP) unter Wolfgang Schüssel – der bisherige konservative Koalitionspartner der regierenden Sozialdemokraten der SPÖ – mag ein Zusammengehen mit Haider nach der Wahl nicht ausschließen. Ohne Ambitionen auf das Kanzleramt hätte der bisherige ÖVP-Außenminister sicher nicht die Koalition mit der SPÖ im Oktober platzen lassen. Auch Kanzler Franz Vranitzky (SPÖ) zweifelt daran, daß die als Grund für den Koalitionsbruch vorgetragenen Differenzen über den Haushalt 1996 wirklich der Auslöser für Neuwahlen nach nur einem Jahr gewesen sind. Schon seit langem war kein Wahlausgang in Österreich so offen.

Die Haider-Loge im „Fröhlichen Augustin“ ist extra schön hergerichtet. Damit kein Unerwählter die Sitzbank des smarten Demagogen entweiht, haben umsichtige Parteistrategen eine weißblaue Schärpe davorgespannt. „Ja, die Bayern“, raunt ein 20jähriger herüber, „die sind uns immer schon nahe gewesen mit ihrer christlichen Gemütlichkeit. Wir haben halt was gegen diese freimaurerischen Preußen.“ An der Wand hängt ein Gemälde vom Wiener Kongreß 1815, darunter – etwas kleiner – ein Foto: Jörg Haider schüttelt Arnold Schwarzenegger die Hand. Und der Muskelstolz Österreichs lächelt leise.

„Da bist schon a bisserl enttäuscht, daß hier gar keine Nazis sitzen, net wahr?“ Der Bursche vom Nebentisch gibt nicht auf. „Wir wollen ja auch gar keinen Nazi-Umsturz, wir wollen nur eine bürgerliche Revolution, damit endlich wieder Ordnung herrscht in unserem Österreich.“ Und wirklich: Die Haider-Jünger hier – alles ausgesuchte Parteimitglieder und Freunde der „Bewegung“ – sind Durchschnittsbürger. Vom Abiturientenpaar bis zum Frührentner ist alles dabei. Nur die feschen, durchtrainierten jungen Burschen von Haiders persönlicher Sicherheitsschar mit dem Einheitsgesicht und dem glasigen Blick fallen auf.

Die Fernsehdiskussion ist zu Ende, die Parteichefs haben sich ordentlich die Meinung gesagt – jetzt muß Haider bald kommen. „Appetitliches aus Österreich“, dudelt es inzwischen werbehalber aus dem Fernseher: Grüne Wiesen und Felder, sanfte Musik, das ist unser Österreich, und um das macht sich der Jörg halt Sorgen. In seinem Kinowerbespot schreitet er auch über solche Auen. Ganz sorgenzerfurcht grübelt er da über Österreichs Zukunft nach. Und mit brüchiger Stimme gibt er preis: „Jetzt ist genau das passiert, wovor ich immer gewarnt habe. 7.000 Stellen bei der Post werden abgebaut – alles Mütter und Väter.“ Wer soll da nicht zustimmend nicken? Nur Spitzbuben können dem Jörg was Böses nachsagen. Er könnt sich's doch auf seinem millionenschweren Großgrundbesitz im Kärntner Bärental wohl sein lassen. Doch der Jörgl ist halt voller Sorge um dieses Land.

Haider, der einzige, der keinen Dreck am Stecken hat, der die Dinge beim Namen nennt: „Er hat euch nicht belogen“ steht an jeder Straßenecke auf den Wahlplakaten. Der Jörg als Superman, Messias und Markenzeichen in einem. Von jeder Plakatwand bleckt der „Blaue Schutzengel“ (Haider über Haider) seine ebenmäßigen Zähne. 80 Prozent der Österreicher glauben ihm zwar seine Wahrheitsliebe nicht. Doch viele davon wählen ihn trotzdem – ein Rätsel für die Wahlforscher. Nur wenige stört wohl, daß es der braungebrannte Mittvierziger mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, wenn er bloß die Lacher auf seiner Seite weiß. Zum Beispiel die Standardgeschichte vom Direktor der Salzburger Gebietskrankenkasse, der mit 46 in Frühpension ging: „Der ist so gesund“, tönt es auf den Wahlveranstaltungen, „daß er jede extreme Sportart machen kann, damit er irgendwann einmal Ermüdungserscheinungen hat, weil, vorher beim Arbeiten hat er ja sowieso keine Anstrengungen erbringen müssen.“ Nur: Der Direktor ist schwerstkrank. Seine Leukämie erfordert intensive Therapie. Das stört den passionierten Bergsteiger Haider aber wenig.

„Wollen Sie das haben, daß ein 22jähriger Mann aus Sri Lanka, der bei uns schon zweimal erwischt worden ist, weil er minderjährige Mädchen vergewaltigen wollte, daß der bei uns eine Pension von 7.800 Schilling beziehen kann?“ Das hat Haider im Fernsehen verkündet. Für diejenigen, die bei solchen Reden auf seinen Freilichtveranstaltungen aufmucken, hat Haider auch etwas parat: „Die, die dahinten schreien, werden – wenn ich etwas zu sagen habe – ihre Luft noch brauchen. Zum Arbeiten!“ Denn die „Freiheitlichen“ stehen für einen Weg, „bei dem der Stärkere in die Schranken gewiesen und der Schwächere geschützt wird.“ Nur wenn's gar zu bunt wird, verschwindet einer seiner Bewacher kurz in der Menge. Danach sind die Buhrufer meist still.

Plötzlich ist es, als hätte ein Stromschlag alle im Bierkeller „Zum fröhlichen Augustin“ erfaßt: Ein Raunen geht durch den inzwischen prall gefüllten Saal, die bis jetzt so trüben Augen glänzen: Haider ist gekommen. Er federt gerade die Treppe herab, zielstrebig, ohne Eile. Ein halboffenes Lächeln wappnet ihn für jede Begegnung. Schon hat er ein bekanntes Gesicht entdeckt: Verharren für wenige Augenblicke, Händeschütteln, sparsam gewählte Worte. Der Beglückte sinkt selig in seinen Stuhl zurück. ER hat ihn berührt.

Und schon hat der Haider den nächsten erspäht. „Gut gemacht, Jörgl, vorhin im Fernsehen!“ bekommt er zu hören. „Hast es denen da droben wieder mal gegeben.“ Haider dankt bescheiden. Weiter, auch der Wirt wartet auf Begrüßung. Dann nimmt der „Retter“ in seiner Sitzecke Platz. Schnell ein Glaserl zur Hand, der Jörgl wird sicher durstig sein.

Andere FPÖ-Funktionäre können sich abrackern, wie sie wollen, Haiders Ausländer-Haßparolen noch verschärfen – gegen ihn sind sie nichts. Wenn er kommt, schmelzen sie dahin wie Wachs. Und so bestreitet Österreichs moderner „Rechtspopulist“ (Haider über Haider) seinen Wahlkampf fast allein. Nur er hat mit den aus der NS-Diktion entlehnten Parolen Erfolg in allen Wählerschichten. Und nur er bestimmt mit seinen Themen in Österreich die öffentliche Diskussion. Kein Tag vergeht, an dem Haider nicht auf den Titelseiten diverser Blätter zu finden ist. Er ist halt für alles gut – auch für die Auflage.

Ausgesuchte Fotografen dürfen heute abend neben ihm sitzen. „Ohne ihn wären wir halt nichts in der FPÖ“, erklärt der auskunftbereite Bursche, der auch schon die Weltsicht des Rings Freiheitlicher Jugend erläutert hat. Und ein Rentner, der sich fast bis zum Tisch nach vorne durchgekämpft hat, ergänzt: „Der ist doch so ein fescher Bub, und live ist er ja noch viel fescher als im Fernsehen.“

Wer denkt in solch großen Momenten an Kleinigkeiten. Zum Beispiel als der Jörg einmal in schlechterer Stimmung zum besten gab: „Ja, wenn der Haider kommt, dann weht ein anderer Wind! Dann herrscht Ordnung. Dann wird in allen Bereichen ausgemistet!“ Es soll halt keiner einmal behaupten können, der Haider Jörg habe damals nicht gesagt, was er will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen