: 7 Brillen und was Hartes
■ Staatsanwaltschaft versteigerte überquellendes Diebesgut und Hehlerware
„Können die nicht mal was Anständiges mitgehen lassen?“ So spricht der Versteigerer, wenn er im Auftrag der Staatsanwaltschaft tätig ist. Es geht um die Beweisstückversteigerung. Die Beweisstückversteigerung ist ein Termin im Foyer der Staatsanwaltschaft, bei dem sich gegen fünfzig Männer mit schulterlangem Haar und/oder Zopf und/oder Ohrringen treffen. Na gut, einige sehen auch aus wie du und ich, also unprofessionell. Gestern war es wieder so weit. Die Strafverfolgungsbehörde räumte ihren überquellenden Beweismittelkeller leer. Lauter herrenloses, aber irgendwann einst beweiskräftiges Gut kam unter den Hammer.
Der Versteigerungshelfer greift mit spitzen Fingern in eine Plastiktüte und zieht eine Reihe lachs- bis fleischfarbener Bodies (d.i.: einteilige Unterwäsche) heraus. Der Versteigerer: „Oi oi oi!“ Das Publikum: „Harr harr!“ Die Tüte geht für fünf Mark an den einzig Bietenden. Doch solche Artikel sind die Ausnahme. Die Regel: Autoradios. Videorecorder. Stereogeräte.
Die Versteigerung beim Staatsanwalt ist ein hochritualisierter Vorgang mit immergleichen Akteuren. Da ist der Türke aus dem Viertel, der auch Flohmärkte mit den Autoradios beschickt, die er hier zuhauf ersteigert. Da ist der Anundverkauf-Kerl aus Walle, der nimmt prinzipiell alles Elektrische. Da ist der alte Uhrenspezialist, der immer eine Lupe zur Hand hat. Da sind praktisch keine Frauen.
80 Prozent der angebotenen Gegenstände teilen die Dealer unter sich auf. Das billige Schnäppchen für den Privaten ist die Ausnahme. Eine Ausnahme: Einer mit kurzen Haaren ersteigert für 18 Mark ein Briefmarkenalbum unbekannten Inhalts. Er blättert: „III. Reich ... Schrott ... DDR... O Gott ... England ... Schrott ... Da bin ich mir aber nicht sicher, ob ich auf meine Kosten gekommen bin.“
Soeben geht eine Wundertüte mit sieben Brillen „und was Hartem“ über den Tresen, für 30 Mark. Und „ein Zubehörteil, keiner weiß was es ist“ für 10 Mark. Und eine große Kiste mit „irgendwelchen elektronischen Bauteilen, sehen sehr gut aus“ für 20 Mark. Ein bißchen traurig anzusehen ist, mit welcher Verachtung der Versteigerer die Dinge präsentiert. Bettwäsche, gesprenkelt, diverse Kleidung, Kettchen, soll Gold sein. Hau wech den Scheiß.
Etliches wird inclusive der Tasche verkauft, in der der Dieb das Handy wegschleppte oder in der der Hehler die Stereoanlage anbot. Ein neues Tischtennisnetz steckt in einer Karstadt-Tüte, aber offensichtlich ließ sich Karstadt nicht mehr als Eigentümer identifizieren.
Im übrigen ist gar nicht unwahrscheinlich, daß auf der nächsten Versteigerung das eine oder andere Autoradio und dieser oder jener Fotoapparat wieder mit dabei sind. Daß die Sachen nicht sofort im Hause der Staatsanwaltschaft wieder geklaut werden, dafür stehen allerdings zu viele Polizisten hier rum. BuS
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