Sanssouci: Rundumschlag
■ Einkaufen, Folge 8: Käse aus der Verkäuferperspektive
Es war zu der Zeit, als ich Käseverkäufer des Markendiscounters Plus war: Sie kam immer samstags gegen halb zwei, kurz nach wochenendlicher Reinigung der Schneidemaschine. Ein Großmütterchen, winzig klein, mit reichem Bartwuchs und weißem Wildledermäntelchen. Mit knöchernem Spazierstock hämmerte sie gegen die Vitrine, um anzudeuten, welcher Käse für sie augenblicklich in Scheiben zu schneiden sei. Hinweise auf
bereits geschnittenen Käse dieser Sorte und darauf, welchen Aufwand es bedeute, die Maschine ein weiteres Mal zu reinigen, wurden barsch beiseite gewischt: „Ihr Geschäft ist doch noch geöffnet? So? Aha! Dann man zu, junger Mann!“ Vorgeschnittener Käse sei alt und hart, schon der Gedanke verursache ihr Übelkeit.
Begleitet vom rhythmischen Trommeln ihres Stöckchens, ergebe ich mich ins Unabwendbare, lege den Anschnitt schon freiwillig beiseite, will zum Wiegen kommen. „Sie wollen doch die Folie nicht etwa mitwiegen?“ Ich weise den abwegigen Gedanken schweigend von mir. Doch das Trommeln auf der Theke schwillt zu bedrohlichem Donnern an: „Das sehe ich doch richtig, daß Sie die Käserinde da mit auf die Waage legen? Die wird sofort abgeschnitten!“ kräht es. Ich weise mannhaft darauf hin, daß dies absolut unüblich sei und die Rinde sozusagen per Gesetz der Gewohnheit untrennbar zum Käse dazugehöre. Bananen schäle man ja auch nicht vor dem Wiegen.
Da ruht das Stöckchen für einen winzigen Moment auf der gläsernen Theke, die Greisin steht starr und schweigt. Nur ihr Bärtchen zittert leicht: Widersprochen! Ihr ist soeben w-i-d-e-r- s-p-r-o-c-h-e-n worden, und das von einem Käsemännchen jüngsten Alters, mit dem lächerlichen Mützchen der Käseschneider von den holländischen Nationalfarben umkränzt: das ist Revolution! Ihr Stöckchen saust über die blanke Theke und fegt das fette Porzellanschwein, das mit seinem rosigen Lächeln die Kunden zum Schnitzelkauf an der Nachbartheke ermuntern sollte, zu Boden, wo es klirrend zerschellt. Die Alte wendet sich ab, verläßt den empörenden Ort und krächzt langsam davonschlurfend von „Blüte des Giftmordes“, „Vitzliputzli“, „Veitstanz“, „Autodafés“ und daß man sie hier zum letzten Male gesehen habe. Was leider nicht zutraf oder doch nur bis zum nächsten Samstag, kurz vor halb zwei. Volker Weidermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen