: Öko-Gourmets achten auf das Futter
■ Fleisch aus artgerechter Tierhaltung ist zwar preisgünstig, aber noch lange nicht ökologisch, da das Futter Gift enthalten kann
Der blaue Umweltengel schmatzt mit, wenn die Gäste im Restaurant des „Hotel Bleibtreu“, dem „Restaurant 31“, ihr Menü genießen: Räucherfischvariationen auf Sesamrösti mit Kräuterschmand vorneweg, als Hauptspeise Dammwildrücken auf Winzerrahm mit winterlichem Gemüse, dazu hausgemachte Spätzle und zum Nachtisch Mandel-Nougatmousse auf Grand-Marniersauce. Und bei dem ganzen Konsumspaß bleibt das Umweltgewissen (fast) rein. „Wenn es geht, versuche ich jede Zutat vom Bio-Bauern oder -Metzger zu kaufen“, beteuert Dirk Schlerfer, der Küchenchef des „Hotel Bleibtreu“. Will der ökologisch korrekte Gast nach dem Essen nicht in sein stinkendes Auto steigen und das Umweltgewissen nach der guten Tat quälen, dann kann er im „Hotel Bleibtreu“ übernachten, über chemiefreie Teppiche auf sein mit Naturfarben gestrichenes Zimmer gehen und den Demeter-Rausch in allergiegetesteten Federbetten ausschlafen. Einzig die Aspirin am nächsten Morgen ist garantiert nicht aus kontrolliert-biologischem Anbau.
Wie Dirk Schlerfer versuchen viele Berliner Gastwirte neuerdings ihre Speisekarte ökologisch- korrekt durchzustylen. Allerdings macht es kaum einer ähnlich konsequent wie er. So bieten die meisten nur Fleisch aus artgerechter Tierhaltung an, selten ist auch das Gemüse frei von Quecksilber und Schwermetallen. Denn Bio-Gemüse ist teuer und saisonbedingt nicht immer zu kaufen. „Wenn ich nur Produkte aus kontrolliert-biologischem Anbau verarbeiten würde, wäre meine Kreativität zu sehr eingeengt“, sagt Udo Einenkel, Koch und Besitzer des vegetarischen Kreuzberger „Abendmahl“. Er versucht soviel wie möglich mit Ökogemüse zu arbeiten, schafft es aber nicht immer. Belastend für das Grünzeug ist außerdem: „Im Gegensatz zum Fleisch sieht es nicht so schön aus, und beim Kunden ißt das Auge immer noch mit“, so Kay Ivanschitz, Geschäftsführer von „Bauer Petersens Restaurant“ in der Martin- Luther-Straße.
Neben dem ausgefallen modernen „Restaurant 31“ ist das ein Jahr alte „Nuova Tartuffel“ eines der wenigen Berliner Restaurants, die auch mit Gemüse und Fisch aus Bioproduktion kochen. Zwei Franzosen und ein Deutscher betreiben das Kreuzberger Restaurant mit der betont lässigen Atmosphäre. Bei lockerem Geplauder, unter Kunstwerken und an Tischen mit weißen Tischdecken sitzend, schlemmten „arbeitslose Akademiker und Grünen-Abgeordnete“, so Tartuffel-Mitinhaber Charly Meieri, giftfreie Kost. Allerdings muß sich der arbeitslose Akademiker wohl von seinen arbeitenden Akademikerfreunden einladen lassen, denn ein Rumpsteak mit Ofenkartoffel kostet 27 Mark, das Lachs- und Zandercarpaccio als Vorspeise 14,50 Mark.
Grundsätzlich müssen die grünen Gastronomen im Einkauf 30 Prozent mehr Geld für weniger Gift bezahlen. Diesen Mehrpreis schlügen sie allerdings nicht auf die Endsumme im Restaurant auf, versichern sie, denn die Bio- Schlemmer seien nicht bereit, mehr zu bezahlen. Unglaubwürdig ist es nicht, daß die Preise gleichbleiben und die Mehrkosten anders erwirtschaftet werden: Im „Milagro“ beispielsweise, einem gut besuchten, hell und angenehm eingerichteten Kneipenrestaurant in der Kreuzberger Bergmannstraße, kosten die Hauptgerichte zwischen 14 und 20 Mark. Ebensoviel muß der Gast in jedem herkömmlichen Laden für eine große Reispfanne mit frischen Gemüsen oder gebratenen Kartoffeltalern mit verschiedenen Gemüsen und Raclettekäse hinblättern. Und auch im kühl eleganten Szene-Restaurant „Florian“ in der Charlottenburger Grolmannstraße wird der Braten wechselweise vom Neuland- und vom normalen Schwein immer für 25 Mark angeboten, sagt die Geschäftsführerin Katinka Gilow.
Neuland-Fleisch, das im „Florian“ manchmal auf der Karte steht, gibt es in den meisten Restaurants, allerdings würden sich die wenigsten richtigen Öko- Gourmets damit zufriedengeben. Wirklich ökologisch-wertvoll ist für sie nur Bioland-Fleisch. Einzig von Bioland-Höfen kommen nämlich die vollkommen glücklichen Tiere, weil nur sie mit Getreide aus kontrolliert-biologischem Anbau gefüttert werden. Neuland-Bauern dagegen ziehen ihre Tiere mit beliebigem Futter groß, und deswegen sind die auch etwas trauriger, aber auch noch ziemlich glücklich. Denn sowohl Bioland- als auch Neuland-Rinder, -Schweine und -Lämmer werden artgerecht aufgezogen. Sie können frei herumlaufen und stehen nicht eingepfercht in Massenställen. Der Unterschied im Glücksgefühl und in der Nahrung zwischen Bioland- und Neuland-Tieren veranlaßt allerdings Meinrad Schmitt, Geschäftsführer des Naturkost-Großhandels „terra-Frischdienst“, das Neuland-Fleisch der Konkurrenz als „Etikettenschwindel“ zu bezeichnen. „Neuland-Fleisch ist einfach nicht ökologisch. Das Futter der Tiere kann voll mit Giften sein“, warnt Schmitt, der ausschließlich Bioland-Fleisch verkauft. Neuland-Fleisch kann also nur das Tierquäler-Gewissen beruhigen, aber kein reines Öko-Gewissen schaffen.
Der Grund dafür, daß Berliner Kneipen und Restaurants in der Mehrzahl nur halb glückliche Tiere und nicht die vollkommen glücklichen Bioland-Tiere verwursten und verbraten, ist, daß es mehr Neuland- als Bioland-Bauern gibt. Die Auswahl auf dem Markt ist größer und die Logistik der Neuland-Bauern besser. Um Logistik und Angebotspalette bei allen Bioprodukten zu verbessern und ein Öko-Gastro-Gewerbe mit funktionierendem Vertrieb aufzubauen, setzen sich seit einem Jahr einmal im Monat Produzenten und größere Abnehmer ökologischer Lebensmittel, also Bäcker, Bauern, Metzger und Gastronomen, an einem sogenannten „Öko-Stammtisch“ zusammen. Sie tauschen Erfahrungen aus und überlegen, was verbessert werden könnte. Denn noch kaufen viele Küchenchefs direkt bei den Brandenburger Bauern, die sie kennen. „Das ist für mich als Großabnehmer allerdings unakzeptabel, weil ich nicht dann, wann ich es brauche, die Mengen bekommen kann, die ich benötige“, erläutert der Küchenchef des Berliner „Steigenberger Hotels“, Albrecht Schäfer.
Die Berliner Köche haben nicht nur aus Umweltengagement Interesse an der gesünderen Nahrung. Sowohl sie als auch ihre Gäste merken, daß Fleisch von Tieren, die zu Lebzeiten glücklich waren, besser schmeckt. Je mehr ein Tier sich bewegt, desto mehr Muskeln und desto weniger Wasser hat es auch. Eine Hüfte, die viel gelaufen ist, verliert beim Braten kaum Flüssigkeit und schrumpft in der Pfanne nicht zusammen. „Durch das längere und andere Leben der Tiere hat das Fleisch eine ganz andere Struktur. Es schmeckt viel intensiver“, sagt Antje Frühsammer, Chefin von „Frühsammers Restaurant“ an der Rehwiese in Zehlendorf. Wenn Frau Frühsammer in der Küche der Zehlendorfer Villa, in der sich ihr Restaurant befindet, das Rindfleisch untersucht, dann ist sie wahrscheinlich die einzige Gastwirtin Berlins, die wirklich garantieren kann, daß diese Ware einwandfrei ist: Sie und ihr Mann haben im brandenburgischen Beelitz eine Herde Galloway-Rinder stehen. Diese Tiere verarbeiten ihre Köche in dem Nobel-Restaurant so, daß sie später 25 Mark für eine Zunge als Vorspeise verlangen können, ein Filet kostet um die 45 Mark. „Kontrolliert aus artgerechter Tierhaltung“ steht hier nicht auf der Karte, denn eine solche gibt es nicht. Herr Frühsammer geht persönlich von Tisch zu Tisch und erzählt den Gästen vom Leben und Sterben seiner Tiere. Nina Kaden
Die Adressen der Kneipen und Restaurants, die ökologische Lebensmittel oder Fleisch aus artgerechter Haltung anbieten, sind im Kasten auf der gegenüberliegenden Seite aufgeführt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen