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Advent, Advent etc.Erst eins, dann zwei

■ Das Prinzip Warten: Ist es die Leere, aus der Ideen sickern? Oder bloß eine Technik, mit der Kinder zivilisiert werden?

Sonntag. Erster Advent. Bei der Notdienst-Kinderärztin. Im Wartezimmer. Ein Chorgestühl aus resopalcharmanten Küchenschemeln drückt sich an drei der vier Wände. Darauf eine Galerie stummer, allenfalls flüsternder Elternteile samt zugehöriger krankheitsgebeutelter Zöglinge. An die vierte Wand ein gesichtsloses Häuschen, Hexenhäuschen vielleicht, samt Getier und Hinterlandschaft gekleckst. Das Ganze ist in den finstersten Schmuddelfarben gehalten. In der Mitte ein Pappschild, darauf zu lesen steht: „Die Wände sind schon angemalt!!“ Zwei Ausrufezeichen.

Neben der Tür ein zweites Pappschuld: „Im Wartezimmer nichts verzehren!“ Und ein drittes: „Bitte Ordnung halten!“ Lasse irritiert den Blick durch den Wartezimmerquader schweifen: Nirgends ein Spurenelement von Spielzeug, kein Schaukelpferd, Bilderbuch, nichts.

Was wäre denn hier in Ordnung zu halten? Die gedämpften Gesichter? Das illustre Chorgeschemel, die vergilbten Heizungskörper? Oder die Schnürsenkel, Haarwirbel, die Fieberkurven von unseren armen Kleinsten?

Die Gestaltung der bevorzugten Standorte des Wartens läßt auch in der Erwachsenenwelt an Phantasielosigkeit nicht das Geringste zu wünschen übrig: Telefonwarteschleifen – die lange Bank – Bushaltestellen und Bahnsteigbänke – der Waschsalon in der Marienstraße – das Ablagefach – die Wartehalle vor der Wartungshalle beim Auspuffdienst.

Trotz allem ist das Warten selbst – kann sein! –: ein Hort der Phantasie. Die Leere, aus der die Idee sickert. Träume dämmern, Geistesblitze schlagen ein, Gedanken ziehen auf, formen sich, vergehen. Einfälle spinnen sich fort und werden wieder verworfen.

Advent, von lateinisch adventus: „Ankunft“. Ankunft in der Zukunft. Oder – etwa im Falle des Jesus Nazarenus – Ankunft in der Vergangenheit. Angekommen vor geschlagenen zwei Jahrtausenden. So feiern wir denn an Weihnachten nichts anderes als die zwanzig Jahrhunderte zurückliegende Warteleistung unserer Altvorderen. Feiern das Warten, indem wir's wiederholen. Haben aber unter der Regie der allgemeinen Beschleunigungsgesellschaft vorsichtshalber die Wartezeit ein wenig verkürzt.

Nicht daß es ausartet, hält ja kein Mensch aus. Vier Wochen sind satt und genug. Und auch auf der Inhaltsseite haben wir die Latte tiefer gehängt: Wir warten nicht, wir warteln. Warteln aufs Christkindl.

Dabei eignet sich die Adventszeit wunderbar als Turngerät, daran Kinder eine der vornehmsten Kulturtechniken trainieren können, die diverser zäher Lektionen bedarf: das Warten.

Von selbst kämen Kinder nie auf die Idee zu warten. Gibt für sie, obwohl sie alle Zeit der Welt haben, keinen größeren Greuel. Sie spielen Hüppekästchen, Pinnekenziehen, schmieden Abzählpoesie, balgen sich, flüstern sich Stille Post und Teekesselchen ins Ohr, sie untersuchen die entlegensten Ecken des Wartesaals, sammeln Kippen und Köttel, prokeln die Staubflusen aus den Sesselritzen, schnitzen ihre Namen in die Wartebank, stehen da, staunen, stieren Luftlöcher. Eines jedoch tun Kinder keinesfalls, wenn sie warten müssen: warten!

Wie also wäre es – um der Aufrichtigkeit willen – mit der Abschaffung der leidigen Wartegedenkzeit? Advent ad acta! – nichts, nein, ausgeschlossen! Die Zimtsterne brauchen ihre Epoche, die Decoindustrie eine Absatzgarantie, und irgendwann muß man ja mal Weihnachtsgeschenke kaufen. Ulrich Land

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