: Kein Fundament für Partei der Macht
■ Das Wahlergebnis zwingt Jelzin zu Kompromissen, um einen erneuten Konflikt mit der Legislative zu vermeiden
Präsident Jelzin ließ gar keine Zweifel aufkommen. Noch am Wahltag teilte er mit, wie auch immer der Urnengang ausgehen sollte, an Premierminister Viktor Tschernomyrdin werde er festhalten. Ebensowenig gedenke er, vom Reformkurs abzuweichen. Lediglich die Umbesetzung einiger Ministerien bot er an. Nun ist das Wahlergebnis für Tschernomyrdins Block „Unser Haus Rußland“ ungünstiger ausgefallen als erwartet. Die „Partei der Macht“ kann auf kein komfortables Fundament im Parlament zurückgreifen. Als Verhandlungsmasse wird Jelzin seinen Minister fürs Auswärtige, Andrej Kosyrew, und Privatisierungsminister Anatolij Tschubais anbieten. Eventuell muß auch Verteidigungsminister Pawel Gratschow dran glauben.
Doch werden sich die Kommunisten damit wohl kaum zufriedengeben. Generalsekretär Gennadij Sjuganow jedenfalls forderte am Montag sofort den Rücktritt der gesamten Regierung. Bisher ist die Sitzverteilung noch nicht ermittelt. Von den 450 Sitzen entfällt nur die Hälfte auf die Parteilisten, die anderen 225 werden durch Direktmandate aufgefüllt. Hier stellt sich die Frage: Lassen sich die unabhängigen Parlamentarier von Tschernomyrdin einbinden?
Die Verfassung sieht keine Möglichkeit vor, das Parlament im ersten Jahr nach den Duma- sowie ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen aufzulösen. Jelzin muß also auf einen Kompromiß aus sein, will er einen erneuten Zusammenstoß mit der Legislative vermeiden. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen würde ihm eine Auseinandersetzung nur schaden.
Wie schlagkräftig die kommunistische und chauvinistische Opposition im Endeffekt sein wird, hängt nicht zuletzt von ihren Führungsfiguren ab. Obwohl Sjuganow mehrfach eine Koalition mit den Liberaldemokraten Schirinowskis erwog, scheint ein Schulterschluß eher fragich. Denn beide schielen auf das Präsidentenamt. Koordinieren sie ihr Vorgehen, verliert jeder von ihnen an Profil.
Zudem hat gerade Schirinowskis Partei in den letzten beiden Jahren den Kurs der Regierung mit getragen. Den Abgeordneten der LDPR geht es vornehmlich um den Sitz im Parlament und die damit verbundenen Privilegien. So seltsam es klingen mag: Trotz ihres relativen Wahlerfolgs hat die Partei ihren Zenit überschritten. Den Abgeordneten ist das nicht verborgen geblieben. Geschlossen werden sie kaum für ein Mißtrauensvotum zu gewinnen sein. Kommen die Agrarier und die Frauen Rußlands nicht ins Parlament, fehlt den Kommunisten das nötige Stimmvieh. Von Vorteil wirkt sich aus, daß der „Kongreß russischer Gemeinden“ (KRO) den Sprung ins Parlament nicht geschafft hat.
Sjuganow hat auf eine Koalition mit dessen Vordermann General Lebed gebaut. Lebed und die Hintermänner aus der Rüstungsindustrie wären für Rußland weit gefährlicher als die Kommunisten, die höchst heterogene Kräfte vereinigen. Zwar hat sich im Unterschied zu anderen kommunistischen Parteien die russische nicht in eine sozialdemokratische verwandelt. Aber ihre Funktionäre gehören im Unterschied zur nostalgischen und radikalen Basis mehrheitlich dem pragmatischen Lager an. Verbalradikalismus im Aufgalopp zu den Präsidentschaftswahlen ist daher die eine Sache. Ein Durchdrücken fundamentaler Revisionen der Reformpolitik eine andere. Die Verwerfungen, die das mit sich brächte, würden den Präsidentschaftswahlkampf nur negativ beeinflussen. Was sollten die Kommunisten antworten, wenn sich infolge ihrer Rückorientierung wieder Schlangen vor den Geschäften bildeten und die Inflation anzöge? Ihre Klientel würde am meisten darunter leiden. Insofern ist mit kleinen Handreichungen an ihre Wählerschaft zu rechnen, die auf die Präsidentenwahlen vertröstet wird. Sollte Sjuganow dort siegen, steht er vor einem noch gravierenderen Problem: Macht er die Privatisierung rückgängig, ruft er Kräfte auf den Plan, die sich bisher gleichgültig gegenüber der Politik verhalten haben. Klaus-Helge Donath, Moskau
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