: Wenn die Einzelkämpfer resignieren
In der oberbayerischen Kleinstadt Dorfen löst sich die FDP gerade selbst auf: Weil der Spitzenkandidat nicht mehr antritt, existiert die liberale Partei demnächst nicht mehr ■ Aus Grüntegernbach Felix Berth
Peter Breth mag nicht mehr. Sechzehn Jahre lang hat er für die FDP Wahlkampf gemacht, hat gelernt, wo er seine Plakatständer in Schwindegg, Wasentegernbach und Grüntegernbach am besten aufstellt. Er hat begriffen, daß man ihn hier wählt, nicht weil er kluge Dinge über das Vermummungsverbot oder den Großen Lauschangriff sagt, sondern weil er eine Kampagne für zusätzliche Telefonzellen auf den Straßen seiner Gemeinde gestartet hat.
Und in all den Jahren hat er gespürt, wie sich sein „politisches Rückgrat“ entwickelt hat. „Am Anfang, 1978, hab' ich meine Plakatständer noch nachts aufgestellt, damit mich keiner sieht“, sagt er. Bei den letzten Wahlen wußte er dann, daß die Plakate auch tagsüber gefahrlos zu montieren sind. Selbst in den schwarzen Provinznestern, die zur oberbayerischen Kleinstadt Dorfen gehören.
Nun also mag Peter Breth nicht mehr. Bei der Kommunalwahl im März 1996 verzichtet er auf eine Kandidatur. Auf den ersten Blick ist dieser Abschied aus dem Dorfener Stadtrat eine unspektakuläre und eher private Angelegenheit. Seine Frau sei schwer krank gewesen, sagt er, was die Politik zurückgedrängt habe. Nach der Wende habe er außerdem mit einigen ostdeutschen Berufskollegen – Breth ist Lehrer – eine Zusammenarbeit begonnen. „Daraus haben sich Freundschaften entwickelt, die mir sehr wichtig sind“, erklärt er. Sein Ausstieg sei übrigens auch kein Protest gegen die aktuellen Entwicklungen der Bundes-FDP, sagt Breth. Zwar habe er gegen den Großen Lauschangriff gestimmt, doch deswegen hinschmeißen? „Sicher nicht“, sagt der FDP- Mann, der schon die Wende 1982 erst bedauert und dann geduldet hat. Ein harmloser, privater und nüchterner Rückzug aus der Politik also.
Doch gleichzeitig zeigt sich, daß Breths Schritt die kleine, liberale Partei in der kleinen, konservativen Gemeinde schlagartig verschwinden läßt. Denn die „Liste 4: FDP/Parteifreie“ wird es auf dem nächsten Wahlzettel bei der Kommunalwahl im März 96 nicht mehr geben – einfach weil sich kein Nachfolger findet, der Plakate kleben und Telefonhäuschen-Kampagnen machen will.
Das Personal seiner Partei habe sich von Wahl zu Wahl verringert, sagt Breth leicht resigniert. Mittlerweile könnte man ihn als permanente Mitgliederversammlung der örtlichen FDP bezeichnen, denn einen zweiten Liberalen gibt es in Breths Gemeinde nicht mehr. Und im ganzen Landkreis mit etwa 85.000 Einwohnern leben auch nur noch 45 liberale Dinosaurier.
Der Einzelkämpfer, der 1974 aus sozialliberaler Überzeugung in die FDP eintrat, wollte sich von dem Trend ins Aus zunächst nicht schrecken lassen. Mag sein, daß ihm die Rolle als einsamer Streiter sogar gefallen hat – auf jeden Fall waren seine Versuche, die Partei zu stärken, ziemlich erfolglos.
Zwar fand er vor jeder Kommunalwahl ein paar Unterstützer, die ihre Namen hinter dem Spitzenkandidaten auf die „Liste 4“ setzen ließen. Aber sie traten eben als „Parteifreie“ an: „Denn viele von denen befürchteten berufliche Nachteile“, sagt Breth. „Und wenn jemand zum Beispiel beim Bauernverband arbeitet, wird ein FDP-Parteibuch vielleicht nicht so gern gesehen.“
Auch an Stammtischen und Infoständen spürte er die Grenzen der politischen Diskussion. Er konnte die hiesigen Bauern und Kleinbürger zwar überzeugen, daß Peter Breth ein netter Mensch ist, der sich in vielem auskennt. Aber er konnte keinem von ihnen klarmachen, warum er deshalb auch bei einer Landtags- oder Bundestagswahl FDP wählen sollte. Deren typische Antwort war schmeichelhaft und ärgerlich zugleich: „Du bist halt in der falschen Partei, aber wir wählen dich trotzdem.“
Entsprechend waren die Wahlergebnisse. Bei Kommunalwahlen bekam Breth 11 Prozent der Stimmen, und die Lokalzeitung feierte den „heimlichen Wahlsieger“. Doch bei jeder Landtags- und Bundestagswahl fielen die FDP- Stimmen unter 3 Prozent. Meist gab es im Wahllokal in Grüntegernbach nur zwei FDP-Stimmen – seine und die seiner Frau. Nur einmal hatte sich wohl jemand verwählt, und die Familie Breth hat nie herausgefunden, wer der dritte FDP-Anhänger gewesen sein könnte ...
Daß eine Partei mit einer derart winzigen Basis von den neuen Nationalliberalen, wie sie in Berlin auftreten, blitzschnell übernommen werden könnte, ist auch ihm klar: „Sicher weiß jeder, daß wir keinen Mitgliederstopp haben“, meint Breth. Das wäre für ihn dann allerdings ein Grund zum Parteiaustritt. Aber noch seien solche Entwicklungen nicht zu spüren, was auch daran liegen mag, daß die FDP mit ihrem ständigen Mandatsschwund kein Objekt der Begierde mehr darstellt.
Übrigens soll es jetzt in Dorfen einen zweiten Liberalen geben, wie Peter Breth kürzlich gehört hat. Der Mann sei vor ein paar Wochen zugegezogen, und Breth will ihn demnächst mal kennenlernen.
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