Ärzteproteste stoppen den gläsernen Patienten

■ Die geplante Codierung von Patientendaten wird nicht umgesetzt

Berlin (taz) – Der Widerstand von mehr als 20.000 Ärzten gegen die computergerechte Durchleuchtung ihrer PatientInnen hat Erfolg gehabt. Die personenbezogene Codierung sämtlicher Krankheitsdiagnosen, zu der alle Arztpraxen vom 1. 1. 1996 an verpflichtet sein sollten, ist vom Tisch. Nach taz-Informationen einigten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen darauf, den Medizinern freizustellen, ob sie die Diagnosen ihrer Patienten in codierter Form oder weiterhin im Klartext an die Krankenkassen melden.

Laut Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums sollten alle 100.000 Vertragsärzte verpflichtet werden, die Diagnosen nach einem vierstelligen Code zu verschlüsseln, dem „ICD 10“. Andernfalls wollten die Kassen die ärztliche Leistung nicht mehr bezahlen.

Gegen diese Verpflichtung lief die „Ärzteinitiative gegen den ICD 10“ Sturm. Sie sieht in der Codierung einen Schritt zum gläsernen Patienten und eine Pflicht zur verfassungswidrigen Weitergabe hochsensibler Daten. Ärztefunktionäre und Kassenärztliche Vereinigungen hatten sich diesen Warnungen angeschlossen. Mit Schreiben vom 14. Dezember kündigt die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihren Mitgliedern nun den geordneten Rückzug von der Datenerfassung an. Man habe sich mit den Krankenkassen geeinigt, daß die Diagnoseverschlüsselung im ersten Halbjahr 1996 freiwillig bleiben solle. Darüber hinaus habe man mit Gesundheitsminister Seehofer eine zweijährige Probephase vereinbart. Bis zum Jahr 1998 soll das umstrittene Codierungssystem in einem wissenschaftlichen Modellversuch getestet werden. Vera Gaserow