: Chaos um Kindergeldauszahlung
■ Kindergeld muß jetzt von Betrieben ausbezahlt werden. Die Bremer Unternehmer protestieren, die Verwaltung ist genervt
Dieter Bolte von der Familienkasse Bremen mag kaum noch ans Telefon gehen: „Ich kann–s nicht mehr hören. Die Leute sind völlig verunsichert wegen der Veränderungen bei der Kindergeldauszahlung.“ Ab 1. Januar zahlt in Unternehmen mit mehr als 50 ArbeitnehmerInnen der Arbeitgeber das Kindergeld direkt aus. Bisher war dafür die Kindergeldkasse zuständig, die nun Familienkasse heißt. Sie stellt jetzt nur noch Bescheinigungen aus, gegen die man im Lohnbüro das Kindergeld erhält: fürs erste und zweite Kind 200 Mark, für das dritte 300 Mark. Diese Beträge ziehen die ArbeitgeberInnen dem Finanzamt von der Lohnsteuer ab.
Die Begeisterung bei den Unternehmen über die neue Praxis, die eine übermäßige Begünstigung für Besserverdienende in Zukunft ausschließen soll, hält sich in Grenzen. Ortwin Baum vom Bremer Unternehmensverband meint, daß der Staat öffentliche Aufgaben auf private Unternehmen abwälze: „Unser Unmut über die Politik ist deshalb so groß, weil für die Unternehmen momentan nichts dringlicher wäre, als eine Entlastung von Personalzusatzkosten“, klagt Baum. Er schätzt, daß den Unternehmen durch die Umstellung der Lohnbuchhaltung und neue EDV-Programme erhebliche Verwaltungskosten entstehen werden: „In einem Unternehmen mit 500 Beschäftigten sind das mindestens 30.000 Mark“.
Die Unternehmensverbände fordern nun bundesweit, daß der Staat die anfallenden Kosten übernimmt. In Niedersachsen wollen einige Unternehmen gegen die Reform klagen und notfalls die Umsetzung verweigern. In Bremen sehen nicht alle Unternehmen so schwarz. Der Sprecher der Bremer Lagerhausgesellschaft, Bengt von Beuningen, ist zum Beispiel zuversichtlich: „Der Mehraufwand ist leicht mit dem vorhandenen Personal zu bewältigen. Das läuft glatt und ohne Probleme.“
Auch wenn viele große Firmen sich überfordert sehen – die Familienkasse wird keineswegs arbeitslos. Denn Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten sind von der Auszahlungspflicht befreit.
Einen Ansturm von über 7.000 Anträgen auf Befreiung mußten Bolte und seine KollegInnen über sich ergehen lassen. Um Zeit und Papier zu sparen, wurden die jetzt mittels amtlicher Bekanntmachung pauschal bewilligt. Trotzdem fürchtet die Familienkasse, daß es durch die Mehrbelastung zu Zahlungsverzögerungen kommen könnte. loh
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