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Weihnachtsgelichter

Immer zur Weihnachtszeit machen die Berliner auf Lichterkette. Viele basteln den Schmuck, und die Bezirke prämieren das schönste Weihnachtsfenster  ■ erleuchtet Detlef Kuhlbrodt

Die Jahresendzeit ist natürlich die beste Zeit. Alle bemühen sich, meist betrunken, um mehr Freundlichkeit. Einige erinnern sich an Kinderweihnachten. Die meisten sind milde gestimmt. Wenn man zurückschaut, wird das Jahr jenseits aller Katastrophen und Idiotien doch vor allem ein sehr sympathisches gewesen sein. 1995 wurden soviel Freundlichkeiten ausgetauscht, daß man mittlerweile von einem Empathie- und Rumschmusetrend sprechen könnte. Selbst die Boxer wirkten so höflich und kuschelig wie weiche Teddybären.

Wenn man nachts winterlich angeschlagen und leicht grippal nach Hause kommt, leuchten und blinken die Fenster der Berliner ganz besonders schön, denn Berlin ist die Hauptstadt der privaten Weihnachtsdekorationen. Sterne in allen Variationen, Lichterketten, auch mit abgeschnittenen Weihnachtsmannköpfen, auf den Balkonen sind Netze mit blinkenden Lichtern – selbst der Puff in der Nähe weihnachtsleuchtet.

Die beschäftigten Berliner, die sonst eher mißmutig oder neidisch auf nächtliche Rumtreiber schauen, verschenken nun Licht aus ihren Fenstern. Da freut man sich. Das blinkt zuweilen „urst technomäßig“ und „schau“ herum, wie die netten Ostraver so sagen, während die verantwortlichen Fensterdekorateure und Lichtingenieure längst schon schlafen. Manchmal führt das ständige Nach-oben-Gucken auch dazu, daß man auf gefrorener Hundescheiße ausrutscht.

In Berlin gibt es verschiedene Zentren des Weihnachtsgelichters. Wedding, Spandau, Kreuzberg, Neukölln. Am ausschweifendsten sind die Rixdorfer Weihnachtsdekorationen. Der Richardplatz in der Nähe der Karl-Marx-Straße sieht aus wie ein besonders schön geschmücktes Pfefferkuchenhausensemble. Das mag auch daran liegen, daß das Bezirksamt alljährlich das schönste Weihnachtsfenster im Kiez prämiert. Vor drei Jahren hatte Familie Incollu einmal den ersten Preis gewonnen, diesmal prämierten die Juroren aus den Partnerstädten in Irland und Rußland die Fenster der Gewinnerfamilie Glanz: „Eine tolle Weihnachtsüberraschung!“ freute sich Familie Glanz und will von ihrem Gewinn (300 Mark) nach Florida fliegen. Die Mitstreiter sind traurig, was die Bild-Zeitung veranlaßte, von einem „Lichterkrieg im Kiez“ zu schlagzeilen.

Daß sie diesmal leer ausging, stört Anna Christina (10), Sebastiano (13), die Mutter Sabine und den Papa Mario jedoch nicht weiter. „Wir machen das ja nicht wegen dem Wettbewerb, sondern wegen der Gefühle. Wir machen das spontan, so vom Herz. Das ist ist auch Tradition“, erklärt Herr Incollu und berichtet von den ausufernden Weihnachtsdekorationen seiner italienischen Heimat.

Seit sechs Jahren schmückt Familie Incollu die Fenster ihrer Wohnung. Erst waren es „ganz normale Bilder“, dann wurde es langsam immer mehr. Weil ein Fenster „im Prinzip“ ja auch „zuwenig“ ist, leuchten alle zwölf Fenster der Familie über dem Richardplatz. Nicht nur Lichterketten schmücken die Fenster, an langen Nachmittagen hat Familie Incollu seit Oktober auch allerlei andere Dinge gebastelt: Weihnachtssterne, Weihnachtsmänner, Schneemänner. „Wir basteln alles selber. Die Ideen kommen beim Angucken von anderen Fenstern und aus Zeitungen. Dann überlegt man sich, wie man das am besten zusammenstellt“, erzählt Sabine Incollu. „Da gehört dann auch viel Phantasie dazu.“ Die Sachen einfach nur im Geschäft zu kaufen, lehnen die Incollus ab. Schön finden sie es auch nicht, wenn die Weihnachtsbäume nach dem 24. gleich wieder weggeworfen werden. „Das ist nicht schön. Da fehlen die Gefühle.“ Alles soll „heller, bunter, schöner“ sein, sagen die Incollus. Deshalb ist das Licht im Wohnzimmer oft ausgeschaltet, wenn die Weihnachtsdeko dann auch drinnen klasse aussieht.

„Frohes Fest!“ wünschen die weihnachtsdeko-begeisterten Hausbewohner am Richardplatz ihren Mitbürgern. Ein paar Meter weiter hängt ein großer, golden leuchtender Weihnachtsstern über dem Bürgersteig. Wenn der runterfällt, gibt es bestimmte Tote, denkt man sich, bevor man sich bei Woolworth in der eher schmal geratenen Weihnachtsabteilung eine „Blinklichtkette mit Musik“ kauft, bei der 50 Lichter im Takt von 21 Melodien blinken. „Die Melodien sind abschaltbar“, die meisten Lichterketten kommen aus China, und vor Woolworth sitzen zwei Weihnachtspunker und trinken Weihnachtsbier. In den Gängen der U-Bahnen singen Russen traurige Lieder.

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