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Die Magie des Sonneneinfalls

■ Der Bildband „Landschaften im Licht“ ist ein Kleinod mit faszinierenden Mythen

Im Jahre 434 vor Chr. berechnete der griechische Philosoph Anaxagoras, die Sonne sei ein Feuerball von etwa 56 Kilometern Durchmesser, der in rund 6.400 Kilometern Höhe über der Erde hänge. 2.200 Jahre später steht fest, daß die Sonne 330.000mal so groß wie die Erde und fast 150 Millionen Kilometer entfernt ist.

Aber was ist schon das exakte Wissen um Zahlen angesichts der Magie eines Feuerballs, dessen Schönheit uns naturgemäß blendet. Wenn sich Berge und Meere im Licht der aufgehenden Sonne zeigen, ein Strahl den Nebel durchdringt und das Weiß des ewigen Eises glitzern läßt, nähern sich auch Vernunftsmenschen der Ansicht, daß Licht etwas Göttliches ist.

Dieser Magie des Sonneneinfalls, die Landschaften verwandelt und graue Felswände zum Leuchten bringt, war der amerikanische Landschaftsfotograf Art Wolfe in allen Gegenden der Erde auf der Spur. Entstanden ist daraus ein atemberaubendes Buch. Der australische Ayers Rock bei Sonnenaufgang in glühendes Rot getaucht, ein einsamer Baum im gleißenden Licht von Death Valley oder eine sonnendurchflutete Halbinsel in der Antarktis – der Zauber ist allgegenwärtig.

Kein Wunder, daß so gut wie alle Völker dieser Erde das Licht von jeher verehren. Die Mythen und Sagen, die der Buchautor Art Thompson für diesen Bildband ausgesucht hat, sprechen für sich. Um die Kraft der Sonne rankten sich bei Inkas, Hopi-Indianern oder Aborigines phantastische Geschichten und Gedichte. Dort, wo sich das Licht zu manchen Jahreszeiten rar macht, wie etwa in Finnland, Sibirien oder bei den Eskimos, gibt es faszinierende Fabeln.

Fotos und Geschichten wechseln sich ab, stehen sich oft scheinbar zusammenhangslos gegenüber und zeigen doch die Verbundenheit einer Welt, die durch Licht lebt: die Anden im Sonnenaufgang auf der einen Seite, gegenüber ein Foto von einem einsamen Wacholderbaum in der Toskana, danach das Gedicht einer Eskimo-Schamanin. Die Vielfalt der Lichtimpressionen macht den knapp 200seitigen Bildband zum Medium ewigen Stöberns. Eintauchen, Trost suchen in finsteren Augenblicken – Bilder zum Träumen finden sich genug für Wochen und Monate.

Sonnenlicht als kraft- und lebensspendende Schönheit ist in aller Welt Anlaß zu vielen Festen. In Peru etwa wird in jedem Jahr der Tag der Sonne gefeiert. So erzählt ein junger Quechua-Indianer namens Wachong, der einmal an diesem Tag eine Prozession auf einen heiligen Berg führte: „Wir stiegen immer höher, immer mehr Berge und Wolken lagen unter uns. Und überall drang Sonnenlicht durch die Wolken, es beschien Berggipfel und die Gesichter der singenden Menschen. Am Gipfel angelangt, blies ich, wie es die alten Inkas zu tun pflegten, auf einer Conchmuschel vom Meer. Ich drehte mich um und sah, wie alle dieses Menschen ihre Hände zum Himmel hoben und ihnen Tränen übers Gesicht strömten.“ Christine Berger

„Landschaften im Licht“ von Art Wolfe und Art Davidson, Frederking & Thaler Verlag München 1995, 148 DM

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