■ Der Schloßplatz braucht Ruhe: Kommt Zeit, kommt Rat
Als vor fünfundvierzig Jahren das Stadtschloß gesprengt wurde, war das ein Stadtfrevel. Die historischen Gemäuer, die damals für heute lächerliche 32 Millionen Mark wieder hätten hergerichtet werden können, wurden der Ideologie geopfert. Den Abriß zu verurteilen und bedingungslos für den Neuaufbau des Schlosses zu sein, aber sind nicht zwei Seiten einer Medaille. Im Gegenteil: Manchem eilfertigen Vorkämpfer für den Wiederaufbau scheint es ebenfalls mehr um Ideologie als um Stadtbildpflege zu gehen.
Ein nahtloses Anknüpfen an vergangene Zeiten kann keine Lösung sein; historische Brüche müssen sichtbar bleiben im Stadtbild. Eine vitale Stadt hat zudem immer das Recht, um einen zeitgemäßen architektonischen Ausdruck zu ringen. Das braucht Zeit. Die letzten sechs Jahre haben deshalb wohltuend gewirkt. Seit dem Abriß des DDR-Außenministeriums, der die alte Sichtachse auf die Friedrichwerdersche Kirche wieder öffnete, hat der Platz neue Dimensionen gewonnen. Die Zeit hat zudem deutlich gemacht, daß auch ein asbestfreier Palast der Republik den Schloßplatz nicht zu füllen vermag. Auch der Palast muß deshalb zur Disposition stehen.
Ein Bauwerk, dem einfach nur die historische Schloßfassade vorgehängt wird, ist keine verbindende Idee. Eine solche Disneyland- Kopie reicht nicht aus, um aus der Ödnis wieder einen zentralen Ort zu machen. Schon die Ratlosigkeit über die Finanzierung und Nutzung der ungleich kleineren Schinkelschen Bauakademie zeigt, daß es mit immerwährenden Schloßgeschrei nicht getan ist. Die leeren Kassen Berlins haben deshalb etwas Gutes: Das Schloß wird auch von einer neuerlichen Großen Koalition nicht gebaut. Berlin vergibt sich nichts, zu warten. Das ist kein Zeichen für Entscheidungsschwäche, sondern für Souveränität gegenüber der siebenhundertfünfzigjährigen Geschichte. Nur die Zeit produziert Ideen. Diese Chance muß der Schloßplatz haben. Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen