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■ Gericht entschied über Zulassung von DDR-AnwältenWas ist ein „würdiger“ Anwalt?

Eigentlich ist es ein Witz. Ganze 600 Rechtsanwälte gab es in der DDR, heute sind es rund 5.000. Dennoch machen sich Gesetzgeber und Gerichte ernsthaft Sorgen, in Ostdeutschland könnte man keine Anwälte finden, denen man vertrauen kann.

Unbestritten haben einige Dutzend der ehemaligen DDR-Anwälte mit der Stasi zusammengearbeitet. Manche davon haben auch Dinge getan, die heute als „Verstoß gegen die Grundsätze von Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit“ gelten. Doch wenn dies für ein Strafverfahren nicht ausreicht, was soll dann ein Berufsverbot? Vielleicht gibt es sogar den einen oder die andere in Ostdeutschland, die zu einem Anwalt mehr Vertrauen entwickeln können, wenn sie wissen, daß sich dieser in der DDR etwas hat zuschulden kommen lassen. Und diejenigen, die mit einem solchen Anwalt auf gar keinen Fall zu tun haben wollen, die haben wirklich genug Auswahl an anderen.

Die freie Advokatur ist in Deutschland seit 1878 durchgesetzt. Damals wurde die staatsdienerähnliche Ausgestaltung des Advokatenstandes abgeschafft. Verbunden war damit die freie Zulassung jedes Bewerbers, der die Befähigung hatte, auch Richter zu werden. Insbesondere die politische Überzeugung hat bei der Anwaltszulassung strikt außen vor zu bleiben. So hat auch das Bundesverfassungsgericht vor 12 Jahren im Falle eines KBW-Anwalts entschieden. Aus demselben Grund sollte auch das Verhalten eines Anwalts unter einem anderen Gesellschaftssystem für die Zulassung schlichtweg außer Betracht bleiben. Was sich hier als „Verbraucherschutz“ tarnt, ist nichts anderes als staatliche Gängelung. Die behauptete Gefahr für die Rechtspflege ist doch weit und breit nicht zu sehen. Es ist eine lächerliche Vorstelllung, anzunehmen, daß ein Anwalt, der einst aus politischer Überzeugung mit der Stasi zusammengearbeitet hat, sich heute dem Verfassungsschutz als Spitzel andient.

Warum überhaupt soll ein Anwalt „würdig“ sein, diesen Beruf auszuüben, und warum maßt sich letztlich der Staat an, zu entscheiden, wie diese Würde konkret auszusehen hat? Dieses Zulassungskriterium gehört einfach abgeschafft. Wozu haben wir denn eine Marktwirtschaft, wenn uns der Staat nicht einmal zutraut, selbst zu entscheiden, welche Biographien unsere Rechtsbeistände aufweisen dürfen? Christian Rath

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