: IRA jagt Drogenhändler
■ Die Selbstjustiz in Nordirland gefährdet den fragilen Friedensprozeß
Dublin (taz) – Der nordirische Friedensprozeß sei am Ende, meinte der Vizechef der Unionistischen Partei in Nordirland, John Taylor. „Die britische Regierung muß ein Signal setzen und den Kontakt mit Sinn Féin abbrechen, solange ihr bewaffneter Arm, die IRA, Menschen ermordet.“ Während die britischen Soldaten seit dem Waffenstillstand im Herbst 1994 eine ruhige Kugel schieben, macht die IRA Jagd auf angebliche Drogenhändler. Sieben sind erschossen worden, allein fünf in den vergangenen vier Wochen.
Zu den Morden hat sich die Organisation „Direct Action Against Drugs“ (DAAD) bekannt. Niemand zweifelt daran, daß sich die IRA dahinter verbirgt, auch wenn der Sinn-Féin-Vorsitzende Mitchel McLoughlin sagt, daß es „nicht den Hauch eines Beweises“ dafür gebe. Die Waffe, eine Pistole vom Kaliber 38, ist bei IRA-Aktionen zwar noch nie benutzt worden, doch die IRA würde keinesfalls eine unabhängige bewaffnete Organisation in ihren Hochburgen dulden.
Die IRA hat im vergangenen Jahr 175 Menschen, denen sie die verschiedensten Vergehen anlastete, mit Knüppeln und Eisenstangen zusammengeschlagen. In einem Fall wurde ein Mädchen an einen Laternenpfahl gebunden, verprügelt und mit Farbe übergossen. Später stellte sich heraus, daß man sie mit ihrer Schwester verwechselt hatte. Protestantische Paramilitärs haben im selben Zeitraum 87 Menschen auf ähnliche Art „bestraft“. Vorgestern ist eine Todesliste der protestantischen Ulster Voluntary Force (UVF) aufgetaucht, auf der neun Männer und eine Frau verzeichnet sind; beschuldigt werden sie des Drogenhandels.
Dabei ist das Drogenproblem in Nordirland äußerst gering. Zwar ist seit dem Waffenstillstand fast doppelt soviel Cannabis und mehr als das Fünffache an Ecstasy-Tabletten wie im selben Zeitraum davor beschlagnahmt worden, doch gibt es in ganz Nordirland nur 25 registrierte Drogensüchtige pro Million EinwohnerInnen. In London sind es weit über tausend, in Dublin sogar rund fünftausend.
Es gibt verschiedene Theorien über die IRA-Kampagne gegen Drogendealer. In Sinn-Féin-Kreisen heißt es, daß die Mitglieder „bei Laune gehalten“ werden sollen, damit sie den Waffenstillstand nicht offiziell brechen. Einer anderen Theorie zufolge soll der Regierung in London mit den Aktionen verdeutlicht werden, daß Sinn Féin unter erheblichem Druck seitens der IRA stehe und man schnellstens politische Konzessionen machen müsse. Darauf deutet auch Mitchel McLoughlins Warnung vom vergangenen Wochenende hin, als er das „bevorstehende Ende des Waffenstillstands“ an die Wand malte. Noch wollen sich die Regierungen in Dublin und London offiziell Mitte Februar zu Friedensgesprächen treffen. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen