: Von der leeren zur offenen Mitte
Pläne für die leere Spreeinsel gibt es genug. Doch solange zwischen Ost und West keine neue Mitte wächst, bleibt sie eine Insel des Stillstands. Teil IV der Serie „Orte im Wandel“ ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann
Schloßgespenster sterben nicht: Am 30. Dezember, genau 45 Jahre, nachdem eine Ladung Dynamit die letzten Reste des Stadtschlosses auslöschte, wiederholt Eberhard Diepgen die Forderung nach dem Wiederaufbau der Fassade.
Angesichts der Tristesse der Gegenwart wirken die Bilder der Vergangenheit verführerisch, die Bilder von der guten alten Zeit, als Berlin noch eine Altstadt besaß, mit schmalen Häusern und einem dichten Netz von Straßen.
Berlins Mitte ist leer. In der „Zone von deutlicher Zentralität“, wie sie der Historiker Friedrich Diekmann nannte, steht ein leerer Palast an einem leeren Platz. Ihn hat man in „Schloßplatz“ umgetauft – obwohl das historisch keineswegs korrekt ist. Belebt hat er sich durch den neuen Namen nicht. Zwar verschwand mit dem Außenministerium ein „Schandfleck“. Doch in der Baugrube passierte bisher nichts.
Nicht, daß es keine Pläne gäbe: Von der Leere bedrängt, veranstaltete der Berliner Senat 1993/94 für isolierte Teilgebiete Wettbewerb auf Wettbewerb: Lustgarten, Spreeinsel, Neues Museum. Die Hektik war voreilig: Zu schnell änderten sich die Vorgaben. Die versuchte Landnahme des Außenministers wird als Kopfbau vor der ehemaligen Reichsbank enden.
Gescheitert: Die Taktik „Abriß und Neubau“
Leerer als die Spreeinsel sind die Staatskassen. An eine Restaurierung des Neuen Museums oder seines Erweiterungsbaus ist nicht zu denken, solange das Geld für die Dachreparaturen an den Altbauten fehlt. Für die Rekonstruktion der Bauakademie gibt es ebenfalls einen Senatsbeschluß. Eine Finanzierung ist nicht in Sicht. Auch Diepgens Luftschloß kommt daran nicht vorbei. Die Taktik „Abriß und Neubau“ ist bereits an der finanziellen Wirklichkeit gescheitert.
Das Gerede von der „leeren Mitte“ ist zynisch. Es kommt aus dem Mund gerade jener Politiker, die durch Schließung des Palastes und Abriß des Außenministeriums diese Leere maßgeblich befördert haben. Es sind dieselben, die erst die meisten Bauten aus der DDR- Zeit zur Disposition gestellt haben und es später nicht schafften, den Planern klare Vorgaben zu machen. Diese Politiker kamen aus dem Westen. Ihre Perspektive ist eine westliche geblieben, immer von „Unter den Linden“, immer von der historischen Stadt auf das Schloß ausgerichtet. Diese Westsicht ist nicht allein Produkt der Teilung. Bereits als die Hohenzollern Mitte des 15. Jahrhunderts begannen, Berlin und Cölln zu beherrschen, drehte ihre Zwingburg der Stadt im Osten den Rücken zu. Vom östlichen Ufer aus beherrschten sie die Doppelstadt. Nach Westen aber wurde erweitert: Dorthin mutierte es mit Schlüterhof, Eosanderportal und Stülers Kuppel zum Schmuckbau. Nach Westen wuchs die Friedrichstadt.
Der westliche Blick auf die Mitte hat Tradition
Der Vernachlässigung des Ostens machte erst die DDR ein Ende. In 40 Jahren vollbrachte sie städtebauliche Leistungen, die sich unser Staat finanziell alleine gar nicht mehr zutraut. Davon könnte die vereinigte Stadt profitieren, gäbe es die Bereitschaft, die Qualitäten überhaupt zu sehen.
Durch ein riesiges Band erweiterte sie in den sechziger Jahren die Spreeinsel bis zum Alexanderplatz. Man braucht nicht viel Phantasie, um in diesem großen Freiraum einen Berliner „Central Park“ zu sehen. Der Fernsehturm ist weit über die Stadtgrenzen hinaus ein Fingerzeig auf die Mitte Berlins.
Die Spreeinsel: Keine funktionale Einheit
Auf der Spreeinsel errichtete die DDR 1976 den Palast der Republik. An die Stelle der alten Herrscherwohnung trat ein offenes Haus der populären Kultur. Ein Haus, das das Wohngebiet der Fischerinsel und die Hochkultur der Museumsinsel zusammenbrachte. Das Foyer war eine allzeit zugängliche, wettergeschützte Loggia für die Stadt. 70 Millionen Besucher nutzten das Gebäude wie einen Gebrauchsgegenstand: In den beiden Sälen fand genau das Kulturleben statt, von dem die „Schloßherren“ träumen.
Auch das von Bernd Niebuhr, dem Gewinner des Spreeinsel- Wettbewerbs, vorgeschlagene „Stadthaus“ gäbe es bereits, würde der Palast saniert und wieder geöffnet. Ob hübsch oder nicht, solche Äußerlichkeiten unterliegen einem Wandel. Dieser Wandel beginnt ohnehin spätestens mit der Asbestsanierung.
Bauminister Töpfer hat sich für das Konzept eines Berliner Büros entschieden. Im Sommer könnten die Arbeiten beginnen – falls der Bundestag, die veranschlagten 150 Millionen bewilligt. Schwerer als Ästhetik wiegen die strukturellen Defizite. Das Hauptstadtband weitete die beiden Straßenzüge Karl- Liebknecht-Straße und Gertraudenstraße zu unüberwindlichen Verkehrsschneisen. Die funktionale Einheit der Spreeinsel ist zerstört. Die Insel ist als solche nicht mehr wahrnehmbar. Die Freiräume sind unbrauchbar. Die Spreeinsel bleibt eine vorbildliche Ost-West-Verbindung: Für Autofahrer.
Ein Verbindungproblem hat auch die Westseite. Während der Palast nach Osten die klaren Kanten des großen Freiraums komplettiert, versagt seine Breitseite den Linden einen Abschluß. Die westliche Perspektive bleibt ein blinder Fleck. Die Schloßimitation hat vor zwei Jahren die heilende Wirkung eines Baukörpers an dieser Stelle simuliert. Für den Westen. Nach Osten aber wäre ein wiederaufgebautes Schloß zu klein, um den großen Freiraum zu fassen.
Nur Rückgriff auf Vergangenes?
Abschluß der einen und Ausgrenzung der anderen Seite kann die Antwort nicht sein. Stärker als zuvor in der Geschichte, kommt der Stelle von Palast oder Schloß die Funktion eines Gelenkes zu. Nicht im Spreebogen, wo es leicht war, eine Ost-West-Spange auf die grüne Wiese zu setzen, sondern auf der Spreeinsel muß sich zeigen, ob beide Teile zu einer Mitte finden.
Die Leistungen der DDR stehen bereits. Was aber hat der Westen anzubieten, außer dem Rückgriff auf Vergangenes? Was ist sein vierzigjähriger Erfahrungsvorsprung an Demokratie wert? Hat es nicht einmal eine Internationale Bauausstellung gegeben, für die der Respekt vor dem historischen Stadtgrundriß, moderne Architektur und Bürgerbeteiligung keine Widersprüche waren?
Warum nicht die Leere als Freiraum denken? Um dem Ort einen Sinn zu geben, bedarf es nicht unbedingt großer, teurer Bauten. Die Bewegungsfreiheit eines Platzes, egal ob offen oder überdacht, könnte dieser Demokratie gut anstehen. Der Entwurf von Oswald Mathias Ungers, im Spreebogen- Wettbewerb nur mit dem vierten Preis ausgezeichnet, hat gezeigt, daß dabei sogar das Schloß als Negativraum weiterleben kann: Eine exakt um seinen Grundriß gelegte Rahmenbebauung gliedert die Räume nach außen, läßt das Schloß als Piazza wiederauferstehen. Ob der Palast abgerissen wird, ist dabei zweitrangig.
Symbole allein ergeben keine Stadt
Auch historische Strategien bieten sich an. Karl Friedrich Schinkel plazierte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein Altes Museum, die Bauakademie und die Friedrichswerdersche Kirche als freie Gebäudeindividuen beiderseits des Kupfergrabens. Aus dem streng achsialen Herrschaftsraum des Schlosses wurde eine Landschaft für den Stadtbürger.
Derzeit laufen auf der Spreeinsel zugleich die Vorbereitungen für die Asbestsanierung und die archäologischen Ausgrabungen. Noch ist nichts entschieden. Symbole allein ergeben keine Stadt. Erst wenn wir von der realexistierenden Stadt ausgehen, werden wir es schaffen, sie zu verbessern. Von der leeren zur offenen Mitte ist es nur ein kleiner, gedanklicher Schritt.
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