: „Der Meister kommt!“
Er klaut für Geld und fürs Renommee. Er ist ein Künstler, ein Magier, ein Manipulator. Peter Weyganda ist Dieb, raffiniert und ausgebufft ■ Von Christoph Oellers
„Beiger Trenchcoat, Havanna, schwarzer Schlapphut“, hat er am Telefon gesagt. Peter Weyganda hat Wort gehalten. Al Capone auf dem Bahnsteig. So der erste Eindruck, als der Zug einrollt in Remagen am Rhein, zehn Kilometer südlich von Bonn. Auf dem zweiten Blick nach dem Ausstieg aus dem Zug könnte man an einen Agenten des Bundesnachrichtendienstes denken. Schließlich, unmittelbar vor der Begrüßung: Der Mann sieht aus wie ein Kaufhausdetektiv, der seine Profession überaus ernst nimmt.
Alles Täuschung. Peter Weyganda ist Taschendieb. Eine richtige Kapazität auf seinem Gebiet. Er klaut Menschen ihr Portemonnaie, er stibitzt ihnen die Armbanduhr vom Handgelenk. Sie merken nichts. Er arbeitet allein, ohne die beiden heute in der Branche üblichen Assistenten – den Drängler und den Decker. Und er kündigt seine heimtückischen Angriffe auch noch an. Peter Weyganda ist ein außergewöhnlicher Taschendieb. Polizeilich liegt gegen ihn nichts vor, obwohl er schon tausendfach gestohlen hat und daraus keinen Hehl macht. Weyganda ist Artist, Magier, Manipulator und Moderator.
Ein kleiner Mann, schon älter, mit rundlichem Gesicht, der bereits bei der Begrüßung Körperkontakt sucht. Er checkt das Terrain ab. Wo sitzt das Geld? Wie kann ich zugreifen? Auf dem Weg zum Auto gehen wir Schulter an Schulter, wie alte Freunde. Während der Fahrt zu seiner Wohnung wartet seine Rechte auf die passende Gelegenheit, unbemerkt in das Hoheitsgebiet des Beifahrers vorzustoßen. Wie eine sprungbereite Katze lauert sie auf dem Schaltknüppel.
Weyganda klaut für Geld. Er schlendert durch eine ostwestfälische Fußgängerzone und stiehlt den Passanten in polizeilichem Auftrag ihr Hab und Gut. Die bekommen es dann mit moralischem Zeigefinger zurück: Passen Sie mal besser auf Ihre Sachen auf, wie wär's mit der Innentasche. Weyganda tritt in TV-Shows auf und zeigt wie ein Jäger nach der Pirsch seine Beute her, die er beim Publikum oder den Fernsehleuten gemacht hat. „Wenn jemand eine goldene Armbanduhr vermißt, dann kann er sich die bei mir abholen.“ Er wird von Handelsketten auf Seminare eingeladen und führt Filialleitern die Tricks der richtigen Diebe vor. Peter Weyganda – ein rechtschaffener Dieb.
Und ein charmanter. Zuvorkommend, wie ein Gentleman, hält er dem Beifahrer die Wagentür offen. Beruhigend redet er mit seiner aufgerauhten Baritonstimme. Doch die Finger bleiben auf der Lauer. Manchmal zucken sie nervös. Sie sind lang, aber nicht schlank, sondern ganz schön kräftig. Hände eines Handwerkers.
In Wahrheit ist Weyganda Zauberer. Die Taschendiebnummer ist nur der Evergreen seines Programms, fast 50 Jahre alt. „Zwei Jahre, von 1945 bis 1947, habe ich dafür geübt.“ Weyganda wurde 1928 als Peter Weyersberg in Dresden geboren. Sproß eines Geschlechts, das schon vor 500 Jahren Schwerter für Kaiser Maximilian schmiedete. Logisch, daß Stammhalter Peter dazu auserkoren war die Tradition fortzusetzen und die väterliche Stahlwarenhandlung zu übernehmen. „Dabei wollte ich als Kind Bauer und später Zauberer werden.“
Der 13. Februar 1945, jene Nacht des Feuersturmes, die Dresden in ein Trümmerfeld verwandelte, markiert für Weyganda den Beginn seiner magischen Karriere. Zunächst sprang der siebzehnjährige dem Tod von der Schippe, als er sich nach dem ersten Angriff aus dem Keller des Hauses in der Dresdener Innenstadt wagte, in dem sein Vater das Stahlwarengeschäft betrieb. Zehn Minuten später brach das Kellergewölbe ein und begrub 16 Menschen unter sich. Es dauerte zwei Tage bis er sich nach Hause in den Villenvorort Dölzschen durchgeschlagen hatte. Der Vater habe ihn nur wortlos gedrückt: „Jetzt hast du einen Wunsch frei – jetzt kannst du Zauberkünstler werden.“ Aus dem Kaufmannslehrling Peter Weyersberg wird der Zauberlehrling Peter Weyganda.
Mitten in seine Erinnerung platzt ein Hustenanfall. Der 67jährige keucht. Klingt fürchterlich. Sein Kopf wird rot. Sofort legt er die Havanna beiseite. Er greift in die Seitentasche der Fahrertür zu seinem Aerosolspray, sprüht sich in den Rachen, um wieder Luft zu bekommen. Seit dem 13. Februar 1945 leidet er nicht nur unter Klaustrophobie, hält es vor allem in engen Kellern nicht aus. Bis zu seinem 34. Lebensjahr plagten ihn auch Asthmaanfälle. „Dann waren sie plötzlich wie weggegblasen.“ Seit zwei Jahren, seit seinem Herzinfarkt, sind sie wieder da.
Im Sommer 1945 tritt Weyganda in Meißen zum erstenmal vor Publikum auf. Mit nachtblauem Frack und Zylinder, Hemd mit Perlmuttknöpfen, weißem Schal und Lackschuhen. Ein Aufzug, den er gegen ein Pfund Butter eingetauscht hat. „Nachtblau“, sagt Weyganda heute, „da sind Sie ganz fein dabei.“ Er spricht wie ein Moderator, der dem Publikum eine Sensation ankündigt. Auch Geschichten erzählt er so. Die sind nie lang, haben nie ein Ende, hören plötzlich auf, weil Weyganda längst eine andere Sensation aus seinem Leben über die Zunge rollt.
„Flucht aus der Kiste“ hieß damals sein großer Renner: Gefesselt liegt der Zauberer in einer Truhe, die mit einem Vorhängeschloß abgesperrt ist. Wenige Sekunden später steht er neben der Kiste und seine Partnerin liegt gefesselt drin. Eine Nummer, mit der er noch im Februar 1961 den Friedrichstadt- Palast in Ostberlin verzauberte. Das war ein Jahr vor seiner Flucht aus der DDR. „Mein größter Trick“, sagt Weyganda. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin und einem Wohnwagen gelangte er über die Tschechoslowakei und Jugoslawien in den Westen. Dabei gehörte er in der DDR zu den Privilegierten. Peter Weyganda war ein Star, „der populärste Illusionist der DDR“, so Weyganda über Weyganda. „Spaß beiseite – der Meister kommt“, „Weyganda, der Geheimnisvolle“, „Weyganda, der Rätselhafte“ und: „Es ist unmöglich, von Weyganda nicht begeistert zu werden.“ Die Ankündigunggsplakate der VEB Deutsche Konzert- und Gastspielproduktion machten ihn gar zum „Lausbuben unter den magischen Künstlern“.
Die National-Zeitung, das Parteiorgan der Blockpartei NDPD, schrieb zum Auftritt im Friedrichstadt-Palast: „Großer Beifall lösen die Tricks unseres Parteifreundes Weyganda und seiner Partnerin Marlen aus.“ Er sei in die NDPD eingetreten, um der SED aus dem Weg zu gehen. „War eben ein Trittbrettfahrer“, sagt Weyganda. In einem Ton, der keine Sensation verspricht, teilnahmslos, als ginge ihn das nichts an. Der gleiche Ton taucht auf, wenn es um die Frauen in seinem Leben geht. über dieses Thema redet Weyganda nicht gern. Weder über seine heutige Lebensgefährtin noch über seine frühere langjährige Freundin und Assistentin Marlen.
Bis zum Mauerbau konnte er in den Westen, an Tourneen des Zirkus Busch teilnehmen. „Danach habe ich es aber nicht mehr ausgehalten. Schließlich wollte ich die Welt kennenlernen.“ Hat er dann auch: Japan, Thailand, USA, die Karibik.
Inzwischen hat Weyganda seine bürgerliche Seßhaftigkeit wiedergefunden. Seit 15 Jahren wohnt er in Bad Bodendorf, einem kleinen Kurort, unweit von Remagen, in einer Zweizimmerwohnung. Doppeltes Klingelschild; groß der Künstlername Weyganda, klein der Geburtsname Weyersberg. Vor der Tür liegt die Bild-Zeitung. Im Wohnzimmer warten die Mitbewohner. Eine Schar von Teddybären. Es sind nicht nur stumme Freunde aus Stoff. Manche brummen, wenn man sie bewegt, andere sprechen wie ein Papagei alles nach, auf der Toilette stehen welche aus Seife.
Weyganda ist Magier im Ruhestand. Abgefedert durch eine Rente, die ihm seine langjährigen Engagements bei Zirkus Hagenbeck und im Erlebnispark Haßloch beschert haben, kann er sich seine Shows jetzt aussuchen. Etwa zwölfmal im Jahr taucht er noch ins Rampenlicht: auf Geburtstags- und Stadtfesten, auf Unternehmenskongressen, vor Kindern oder im Dienste der Polizei. Hört sich wenig an im Vergleich zu den 300 Auftritten in früheren Jahren. „Ich bin bequem geworden“, sagt er und fährt sich wie eine Schwangere über seinen solariumverbrannten Bauch. Früher sei er rank und schlank gewesen, „wie Fred Astaire“.
Nach einem vorweihnachtlichen Auftritt mit Volkssänger Gotthilf Fischer, nach der anstrengenden Silvestergala in Bad Neuenahr brauche er Entspannung. Nächste Woche will er nach Tunesien, auf die Insel Djerba fliegen. „14 Tage für 519 Mark in einem Vier-Sterne-Hotel – das ist doch phantastisch.“ Die ganz realen Träume eines Illusionisten.
Weyganda kann sich nicht vorstellen, eines Tages völlig aufzuhören mit den Tricks, Zaubereien und Moderationen. Das habe er vor zwei Jahren gemacht und prompt den Infarkt bekommen. „Lieber sterbe ich auf der Bühne als im Krankenhaus auf der Intensivstation.“ Weyganda nennt sein großes Vorbild, den Berliner Magier Paul Cartini. Den traf 1954 in Kopenhagen mitten in einer Vorführung der Schlag.
Das Treffen endet plötzlich. So wie seine Geschichten. Seine Freundin erwarte ihn um sieben. Fahrt zum Bahnhof. Nein, beteuert der Taschendieb zum Abschied, er habe dem Besucher nichts geklaut. „Ehrenwort.“
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