piwik no script img

Großbritannien im Lottofieber

■ Das ganze Land verwandelte sich in eine riesige Spielhölle. Im Jackpot lockten 92 Millionen Mark, soviel wie noch nie

Dublin (taz) – Zuerst drehte die britische Bevölkerung durch, und dann erwischte es auch den Computer: 5.000 Lottoscheine pro Sekunde waren ihm zu viel. Der Großrechner der Lottogesellschaft „Camelot“, an den 28.000 Annahmestellen angeschlossen sind, schaltete am Samstag einfach für eine halbe Stunde ab. Danach ging es mit frischer Kraft weiter: Am Nachmittag wurden acht Millionen Tickets pro Stunde verkauft. Neun von zehn erwachsenen BritInnen träumten den Traum vom Superreichtum und verwandelten Großbritannien in eine riesige Spielhölle. Es ging um 40 Millionen Pfund, rund 92 Millionen Mark – so viel hatte die Lotterie bisher noch nie ausgezahlt. Vor David McCleans Annahmestelle in Newtown, wo in der Vergangenheit 80.000 Gewinnscheine verkauft worden sind, standen die Menschen schon morgens um halb sechs Schlange. Der Daily Mirror kaufte ebenfalls drei Scheine und verteilte sie an Bedürftige: an Prinzessin Diana, ihre Noch-Schwägerin Fergie und die Königinmutter. Als die Annahmestellen um sieben dichtmachten, hatte Camelot mehr als eine Viertelmilliarde Mark eingenommen. Das übertraf bei weitem den Umsatz beim Grand National, dem Wettereignis des Jahres. Nur die anglikanische Kirche moserte und bezeichnete das Lottofieber als „Obszönität“.

Dennoch saß die Nation geschlossen vor dem Bildschirm, als die Sängerin Cher um zehn vor acht die magischen Zahlen zog. Die BBC hatte Sicherheitsmaßnahmen angeordnet, als ginge es um die Kronjuwelen. Seit Tagen durfte nur eine Handvoll Angestellter mit Sonderausweisen in das Studio. Die BBC versteckte die bunten Lottokugeln an unbekanntem Ort, die Lottomaschine ließ man rund um die Uhr bewachen. Und für alle Fälle stand ein Geheimstudio außerhalb Londons bereit. Cher machte schließlich drei Menschen glücklich, die sich den Jackpot teilen müssen. Aber 14 Millionen Pfund sind ja auch nicht schlecht. Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen