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SPD-Wohnungspolitik: verzweifelt gesucht!

■ Lange wurde Bausenator Nagel mit der SPD-Baupolitik identifiziert. Ein Gegengewicht in der Partei fehlte. Nun ist Nagel out und die SPD ohne Alternative

Hochmut kommt vor dem Fall. Was für die meisten wie eine Binsenweisheit klingt, ist für den Noch-Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) seit geraumer Zeit eine schmerzhafte Erfahrung. Ehrgeizig wie kein anderer hatte er sich als Garant sozialdemokratischer Politik auch für eine Neuauflage der Großen Koalition ins Spiel gebracht und war hinterher um so tiefer abgestürzt. Von Nagel spricht heute keiner mehr. Als neuer Bau- und/oder Stadtentwicklungssenator wird dagegen der bisherige Staatssekretär von Volker Hassemer, Wolfgang Branoner (CDU), gehandelt, aufgrund seines Pragmatismus offenbar auch für viele Sozialdemokraten tragbar.

Nagels Fall war abzusehen. Das Wahldebakel der SPD vom 22. Oktober war noch nicht verdaut, da betrieb der Bausenator mit großer Stimme schon Parteischelte: Die SPD, motzte er, sei eine „Selbsterfahrungsruppe“, der sich ein „Weiter so!“ eigentlich verbiete. Wer nun freilich glauben mochte, Nagel, der vor den Wahlen unmißverständlich für Rot- Grün plädiert hatte, würde seinen Parteifreunden den Weg auf die Oppositionsbank nahelegen, der irrte. Als ob die gegensätzlichsten Positionen noch zusammengehören, wenn sie nur dem Kopf eines Wolfgang Nagel entspringen, setzte sich der Ex-Juso kurze Zeit später für die erneute Elefantenhochzeit mit der CDU ein – und brachte sich selbst gleich als Finanzsenator ins Spiel. Seine Parteifreunde nahmen ihm das übel, so wie immer, wenn sich Nagel vorlaut und „fachfremd“ zu Wort meldet.

Der anschließende Sturz in die Tiefe war unvermeidlich. Daß in der Folge die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit Nagel auch den Blick auf das Bauressort verloren hat, wirft allerdings auch ein Licht darauf, was man als den Rest sozialdemokratischer Baupolitik bezeichnen kann:

Als Wolfgang Nagel im April seine Neubaubilanz für 1994 vorstellte, hätte die Öffentlichkeit eigentlich zufrieden sein können. 72.000 Neubauwohnungen innerhalb von fünf Jahren statt der geplanten 80.000 – eine stattliche Bilanz. Nicht jedoch, wenn der, der sie zu verantworten hat, Nagel heißt. Statt Lob kassierte der Bausenator Häme. Kein Wunder: Wenn einer wie er nicht hält, was er verspricht, heißt es eben: Knapp daneben ist auch vorbei.

Zwischen Nagels Wohnungspolitik – die man bei wohlwollender Betrachtung in den Bereichen Stadterneuerung, Plattensanierung, Neubau und öffentliches Bauen als erfolgreich bewerten kann – und ihrer öffentlichen Wahrnehmung gibt es ein offensichtliches Mißverhältnis. Und dieses ist weniger der Politik Nagels als vielmehr dem „Charisma“ des Politikers Nagel geschuldet.

Das selbstherrliche Auftreten des Bausenators, der schon in der rot-grünen Koalition seine grüne Senatskollegin Michaele Schreyer an den Rand der Tränen getrieben hatte, hat darüber hinaus eine Profilierung der SPD als Mieterpartei verhindert. Die SPD-Wohnungspolitik ist die Politik ihres Bausenators (und seines Senatsbaudirektors), Alternativen gibt es nicht. Einen profilierten wohnungspolitischen Sprecher sucht man bei der SPD ebenso vergebens wie einen hartnäckigen Vertreter im Bauausschuß des Abgeordnetenhauses. Ob Otto Edel, Ralf Hilsberg oder Gerlinde Schermer, sie alle standen im Bannkreis eines Senators, der einen Konkurrenten neben sich nicht duldete – mit dem Ergebnis, daß man sozialdemokratisches Urgestein in der Wohnungspolitik nur noch in einigen Bezirken wie etwa in Tiergarten findet.

Es gab einmal Zeiten, in denen war die Wohnungspolitik aus der SPD (im guten und im schlechten Sinne) nicht wegzudenken. Und obwohl wohnungspolitische Debatten in den vergangenen Wahlkämpfen so gut wie keine Rolle mehr spielten – weil in dieser Stadt mittlerweile jeder die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum aufstellen darf, ohne der Lüge bezichtigt zu werden –, ist die Frage nach den eigenen vier Wänden im Alltagsbewußtsein der Berliner nach wie vor dringend. Dem zum Trotz drängt die Verhandlerfraktion der SPD derzeit weniger auf die Diskussion dieser Fragen und ihrer eigenen Forderungen mit der CDU als einzig auf die Sanierung des Landeshaushalts. Die Konsequenz ist, daß die Ressortverteilung keine Frage der politischen Priorität mehr ist, sondern eine bloße „Personalentscheidung“, die dem Proporz unterworfen ist: hier eine Ostfrau, dort eine profilierte Noch-Senatorin, als dritter ein „Linker“ – bleibt ein freier Platz, egal für welches Ressort.

Daß sich in der SPD derzeit keine Stimmen vernehmen lassen, weiter das Bauressort zu besetzen, ist demnach nicht nur ein Zeichen der Mißgunst für den Bausenator, sondern auch ein untrüglicher Hinweis darauf, daß sich die SPD mit dem Verzicht auf die Neubestimmung einer eigenen Wohnungspolitik auf dem besten Weg von der Mieterpartei zur „20-Prozent-Partei“ befindet. Uwe Rada

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