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In den Ruhestand geht er noch lange nicht

Johannes Rau wird 65 und hat viel vor. Er muß die Regierung stabilisieren  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Seine Anmerkungen in roter Tinte auf Briefentwürfen und Presseartikeln fürchten Bedienstete und politische Weggefährten gleichermaßen. Beim Redigieren kennt Johannes Rau, der heute 65 wird, überhaupt kein Pardon. Und dabei sind ihm die Regeln der Interpunktion ebenso eine Herzensangelegenheit wie Fragen des politischen Stils.

Davon kann inzwischen auch der grüne Koalitionspartner ein Lied singen. Jüngst traf es die Umweltministerin Bärbel Höhn. Weil deren Pressemitteilung über eine gemeinsame Ablehnungsfront der grünen Umweltministerinnen aus NRW, Hessen und Sachsen-Anhalt im Bundesrat in Sachen Beschleunigungsverfahren eine parteipolitische Zuordnung enthielt, ließ die Rüge des Jubilars nicht lange auf sich warten. Stilbrüche auf amtlichem Papier läßt der Chef nicht zu – und noch ist Johannes Rau der Chef.

Klagen hört man von den Düsseldorfer Grünen über ihn aber nicht. „Rau ist der Garant für unsere Koalition.“ Mit diesem Satz trifft der Bauminister Michael Vesper innerhalb seiner Führungsriege auf ungeteilte Zustimmung. Beim Bau des rot-grünen Hauses spielte Wolfgang Clement, der mächtige Wirtschaftsminister und enge Freund von Rau, als Architekt gewiß die wichtigere Rolle, aber er, Johannes Rau, verleiht dem fragilen Gebäude die nötige Stabilität. Noch hält die Verunsicherung bei einem Großteil der Sozialdemokraten an. Viele betrachten die Koalition nach wie vor als einen einmaligen Ausrutscher nach 15 Jahren der Alleinherrschaft und möchten bis zum nächsten Wahltermin möglichst viel Einfluß retten, um die Scharte dann auszuwetzen. Andere werten diesen Ansatz als Illusion und sehen in dem rot-grünen Bündnis die langfristige Perspektive für Reformpolitik in NRW und auf Bundesebene gleichermaßen.

Die heterogenen Kräfte in der Zeit des Übergangs möglichst weitgehend bändigen, das kann in der NRW-SPD immer noch niemand besser als Rau. Das wissen nicht nur die Grünen, sondern auch die meisten der höchst verunsicherten Sozis an Rhein und Ruhr.

Deshalb werden sie ihren langjährigen Vorsitzenden beim Parteitag Anfang März in Duisburg mit großer Mehrheit erneut in den Chefsessel hieven. Aber für wie lange? „Bis zum Tag des Rücktritts“, lautet die Standardantwort des Calvinisten aus Wuppertal.

Einen lange vorab angekündigten Rücktritt wird es mit Rau nicht geben, denn dann „wäre meine Fähigkeit, das Amt auszufüllen, eingegrenzt“. Und auch eine Ämtertrennung schließt Rau aus: „Ich bin nur solange Ministerpräsident, wie ich auch Landesvorsitzender bin.“ Gewiß, im zweiten und dritten Glied der Partei grummeln einige vernehmlich über die Notwendigkeit eines möglichst baldigen Neuanfangs auch an der Spitze, aber relevant sind diese Kräfte auch nach dem desaströsen Ende des Rau-Favoriten Rudolf Scharping in Mannheim nicht. Die körperliche Fitneß des 65jährigen einmal unterstellt, sind es die kommenden Wahltermine, die den Zeitpunkt des Abgangs wesentlich determinieren. Bundestagswahl 1998, Bundespräsidentenkür 1999 und im Jahr 2000 dann erneut Landtagswahl in NRW.

„Mit 70“, also im Jahr 2001, hat Rau mit Blick auf die Düsseldorfer Staatskanzlei gesagt, „bin ich wahrscheinlich nicht mehr im Amt.“ Das „wahrscheinlich“ darf man in bezug auf dieses Amt, das niemand in der Republik auch nur annähernd so lange innehatte wie der Patriarch vom Rhein, getrost streichen. Bezüglich der Herzog- Nachfolge ist solche Bestimmtheit dagegen fehl am Platz. Deutschland am Ende seiner politischen Karriere als Präsident zu repräsentieren: dieser Lebenstraum treibt Rau wohl immer noch um. Ausgeschlossen hat er eine erneute Kandidatur nach der schmerzlichen Niederlage von 1994 nie.

Sich schon bald ganz auf die Familie zurückzuziehen – mit seiner Frau Christine, einer Enkelin seines Ziehvaters Heinemann, hat er drei Kinder – gehört erkennbar nicht zu den Prioritäten bei der Gestaltung seines Lebensabends. Politik ist für den Mann, der dreimal in NRW die absolute Mehrheit erreichte und seit 1970 dem Düsseldorfer Kabinett angehört, eine Sucht – wie die, Erdnüsse zu essen: Man nimmt eine „und kann dann nicht mehr aufhören“. 1952 trat Rau der von Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei bei, um dann im Schlepptau des Expräsidenten 1957 zur SPD zu wechseln. Zu den großen Utopien und Versprechungen von Sozialisten und Marxisten wahrte der überzeugte Christ zeitlebens Distanz: „Wer den Himmel auf Erden verspricht, der schafft die Hölle.“

Noch sieht es nicht so aus, als könne Rau, wie so viele aus dem Politikbetrieb vor ihm, den richtigen Zeitpunkt zum würdevollen Abgang verpassen. Im März soll Wolfgang Clement als Nachfolger von Christoph Zöpel zum stellvertretenden Parteivorsitzenden in NRW gewählt werden. Damit wäre dann der Weg zur Nachfolge von Rau ein weiteres Stück geebnet. Nach dem Wechsel von Franz Müntefering in die Bundesgeschäftsstelle dürfte kaum noch jemand in der Lage sein, Raus Wunschkandidaten zu stoppen. Gewisse Chancen besäße allenfalls der gewiefte Fraktionschef Klaus Matthiesen, doch der weist offiziell alle Ambitionen weit von sich. Träte Matthiesen, der den Zweikampf mit Innenminister Franz- Josef Kniola um den Fraktionsvorsitz auch gegen den Willen von Rau und allen vier SPD-Bezirkschefs in NRW für sich zu entscheiden wußte, an, erwüchse Wolfgang Clement ein ernsthafter Konkurrent.

Im Habitus unterscheiden sich beide von Rau fundamental. Während Matthiesen im Zweifelsfall zu gnadenlosem Populismus neigt und Clement die Rolle des kühlen Machttechnikers pflegt, gefiel sich Rau immer in der Rolle des Landesvaters. Nichts mochte er weniger als „die flackernden Augen“ politischer Fanatiker – auch solcher mit SPD-Parteibuch. Nur die Häme von Journalisten setzte ihm noch mehr zu. Daß eine Hamburger Wochenzeitung ihn immer wieder auf die Größe eines Pils trinkenden Anekdotenerzählers zu reduzieren suchte, kränkte ihn wirklich. Völlig geknickt nahm er im Sommer 1993 ein solches ihm zugefaxtes Elaborat in der makedonischen Hauptstadt Skopje zur Kenntnis. Nie sah man Johannes Rau verbitterter als an diesem Abend.

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