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Versponnener Linker unter Druck?

■ Künstler steht wegen versuchter Nötigung des Hamburger Bürgermeisters und der Deutschen Bank vor Gericht

„Sie sind ja ein Mann mit Durchblick.“ Der verständnissinnige und dennoch herablassende Tonfall von Richter Albrecht Mentz zog beim Angeklagten durchaus nicht; Frank Reinhard Dehn hatte nicht die Absicht, sich vom Vorsitzenden Richter im Hamburger Oberlandesgericht auf die väterliche Tour betören zu lassen, damit er von im Vorfeld gemachten Aussagen abweiche. Nein, meinte er, er habe die Erpressung nicht selbst geplant, sondern im Namen von „Hintermännern“ gehandelt.

Gestern begann vor dem dritten Strafsenat das Verfahren gegen den 47jährigen Maler und Komponisten Dehn. Er soll im Juli und August 1992 Erpresserbriefe an Bürgermeister Henning Voscherau geschickt haben, in denen er als Ausgleich für mitverschuldete Wiedervereinigungsschäden die Zahlung von 871.000 Mark verlangte; andernfalls werde er das Hamburger Trinkwasser vergiften.

Im November desselben Jahres soll er von der Deutschen Bank in Hamburg 874.000 Mark als Ausgleich „für gewissenlose Beutezüge des Finanzkapitals“ gefordert haben, sonst werde er gegen Angestellte und Kunden der Deutschen Bank Chemikalien einsetzen. Bei der Geldübergabe im Dezember 92, einer „Schnitzeljagd quer durch die Stadt mit einigen Hürden“, wie Richter Mentz die Aktion beschrieb, wurde Dehn festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Da er jedoch eine gebrechliche Mutter zu pflegen hat, ließ man ihn nach fünf Wochen wieder frei.

Vermögendes Elternhaus, Abitur, Philosophie-Studium, Künstlerdasein – das Bild, das Dehn am ersten Prozeßtag bot, war nüchtern und selbstbewußt. Verschroben hingegen klang, wie er in die Erpressung „hineingeschlittert“ sei: Eine junge Frau habe ihm die „mitnehmende Geschichte“ erzählt, wie sie um zu DDR-Zeiten enteigneten Grundbesitz gebracht worden sei. Er habe ihr durch die Beschaffung von Beweis-Dokumenten helfen wollen, sei dann aber in die Rolle des „Boten“ gedrängt worden und „wollte kein Spielverderber sein“. Die beiden männlichen Verbündeten seiner Freundin hätten ihm auch ein wenig Angst eingejagt; 5 000 Mark habe er abbekommen sollen.

„Das nehme ich Ihnen nicht ab“, meinte Richter Mentz und ließ durchblicken, daß sich Dehn zur Tatzeit doch in massiven Geldschwierigkeiten befunden hätte. Indem er diesen Umstand mit einer ideologischen Paranoia kombinierte, suggerierte Mentz, bei dem eigenbrötlerischen Künstler handele es sich um einen versponnenen Linken unter Druck. Die Aussagen der Beamtin, die an der Geldübergabe beteiligt war, bestätigten dies: Bei der Festnahme habe Dehn sie gefragt, ob sie von der Stasi sei.

Der Prozeß wird fortgesetzt, über einen Befangenheitsantrag von Dehns Anwalt Jost Heinemann gegen Mentz wird noch entschieden. Ulrike Winkelmann

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