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Vor der Jahrhundertentscheidung

■ Kunsthalle: Uwe M. Schneede zog ein Resümee der ersten fünf Jahre seines Direktorats

Als sei es eine Verlebendigung seiner Scherenschnitte, hat er sich im Profil gemalt. In dem von der Kunsthalle neuerworbenen Bild sieht der 24jährige Philipp Otto Runge sehr antikisch aus. Es ist das Jahr 1801, und Jens Juel, sein Lehrer an der Kopenhagener Akademie, rät ihm, nicht immer neue, große Kompositionsentwürfe zu zeichnen, sondern sie „in Öl zu machen“. Das Selbstbild ist sein zweites Ölbild überhaupt und das erste von insgesamt nur vieren des schon mit 33 Jahren verstorbenen Hamburger Künstlers.

Die drei übrigen gehörten der Kunsthalle schon, dieses wurde letztes Jahr bei Sotheby's in München bei einer Auktion mit über 300.000 Mark angeboten, fand aber – auch durch geschicktes Taktieren der Kunsthalle – keinen Käufer und wurde zurückgenommen. Deutlich billiger konnte es dann im vergangenen Monat mit Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung erworben werden.

Diese Bereicherung der Sammlung war aber nur ein Punkt bei der gestrigen Pressekonferenz, auf der Uwe M. Schneede ein Resümee der ersten fünf Jahre seines Direktorats zog. 351.372 Besucher hatte die Kunsthalle 1995. Das sind weniger als im absoluten Rekordjahr davor, aber doch mehr, als 1991 und 1992 zusammengenommen. Das sind nicht nur Attraktivitätsbeweise, sondern angesichts unverständlicherweise schwindender öffentlicher Gelder wichtige Geldquellen. Zusammen mit den Einnahmen von Gastronomie, Vermietungen und aus Bildrechten erlöste die Kunsthalle 1995 fünf Millionen Mark.

Optimistisch ist Uwe M. Schneede auch in Hinblick auf die Museumsverselbständigung. Wenn erst die bestmögliche Rechtsform für diese „Jahrhundertentscheidung“ (Schneede) gefunden ist, kann es damit rasch vorankommen. Die Bürgerschaft behandelt das Thema im März, bis dahin müssen Museen und Behörde wissen, was sie wirklich wollen. Energisch lehnt er nach wie vor jeden Populismus ab, er will nicht andauernd Nolde, Chagall und Klee zeigen und findet lange Schlangen an der Kasse zwar werbewirksam, aber besucherunfreundlich. Alle Ausstellungen sollen weiterhin einen kunsthistorischen Sinn haben, auch wenn mindestens einmal pro Jahr eine Ausstellung Überschuß ins Haus bringen muß.

Doch die Liste der Sonderausstellungen ist 1996 nicht so lang: Turner in Deutschland, Egon Schiele, Die großen Zeichner: von Ingres bis Bonnard, Im Blickfeld: das Kunstkammerregal von Georg Hinz und Hamburger Malerei im Biedermeier sind die Höhepunkte. Denn ein Großteil der Energie ist durch die Museumserweiterung absorbiert. Im ersten Halbjahr wird die Renovierung und Neuordnung des Altbaus abgeschlossen, ab Juli beginnt der Einzug in den Ungersbau. Eröffnung ist im Februar 1997. Hajo Schiff

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