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Der mündige Bürger stört nur den Investor

■ Bürgerbeteiligung in Hamburg, ein Trauerspiel – aufgezeichnet von Heike Haarhoff und Till Briegleb

Wie unflexibel eine Planung wird, wenn sie Menschen als Verschiebemasse für angeblich global-städtische Interessen behandelt, zeigte sich in aller Deutlichkeit bei der Entwicklung der Fleetinsel. Der ursprüngliche Bebauungsplan aus dem Jahr 1980, der auf einem Entwurf des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner basierte, sah den vollständigen Abriß der dortigen Altbausubstanz – mit Ausnahme des Neidlingerhauses – vor.

Was sind 25.000 Unterschriften gegen eine Beamtenmeinung?

Stattdessen sollten hier neben Büros und Hotels einige Wohnhöfe entstehen. Daß in den späten Achtzigern, als hier längst Künstler und andere Menschen in den Kontorhäusern und Speichern wohnten, der Abriß eines der letzten Reste genutzter Altbausubstanz in der City politisch gewollt war, ist an und für sich schon ein Skandal. Daß man die dort Lebenden aber einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte, belegt ein weiteres Mal, daß das Reden von Planung als Prozeß in Hamburg nur Geschwafel ist.

Da der Bebauungsplan längst verabschiedet war, gab es nicht einmal formale Möglichkeiten der Einflußnahme. Und auf den Wunsch der Bewohner nach Dialog reagierten die zuständigen Senatoren Rahlfs (Wirtschaft) und Wagner (Bau) gar nicht oder mit unglaublichen Briefen. Rahlfs entblödete sich nicht, eventuelle „Grillparties“ der Künstler als unvereinbar mit den Wünschen eines erstklassigen Hotels gegenüber zu bezeichnen, um so den Abriß zu legitimieren. Und Wagner wie sein Oberbaudirektor Egbert Kossak weigerten sich schlichtweg, überhaupt in Kontakt mit den dortigen Mietern zu treten.

Schließlich konnten die Häuser in ihrer Nutzerstruktur dank der Ini-tiative des Rechtanwalts Hans Jochen Waitz gerettet werden. Und plötzlich brüstete sich Kossak öffentlich mit dem Künstlerbiotop, das man angeblich an dieser Stelle geschaffen hätte. Tatsächlich sorgte der erbitterte Widerstand der Bewohner gegen die Pläne der Stadt dafür, daß die städtebauliche Totgeburt „Fleetinsel“ wenigstens noch ein kleiner Rest städtischen Lebens bekränzt.

Ein ähnliches Trauerspiel bot der „Dialog“ um die Bebauung des ehemaligen HSV-Sportplatzes Rotherbaum. Eine örtliche Initiative aus Hausbesitzern und Bewohnern hatte versucht, rechtzeitig Einfluß auf die Planung zu nehmen – wohl ahnend, was passieren könnte und dann auch passierte. Ihr Anliegen, welches die damalige Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller auch bereitwillig aufnahm, war es, daß eine Neubebauung sich der Parzellen- und Einzelhausstruktur des Gebietes verpflichten möge. Dieser Forderung, die durch eine Kann-Formulierung auch in den städtebaulichen Wettbewerb 1993 einging, spottet die beschlossene Bebauung blanken Hohn.

Der Entwurf des Schweizer Architekturbüros Atelier 5 ist die stupide Vervielfältigung eines architektonischen Rasters, das keinerlei Bezug zur Umgebung entwickelt. Unterschriftenlisten, Briefe an den neuen Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow und öffentliche Proteste verhallten ungehört. Bei der öffentlichen Diskussion der Pläne gipfelte das Desinteresse der Stadt schließlich in einem gelangweilten Podium politischer und Behördenvertreter, die von den sachlichen Einwänden der Betroffenen keinerlei Notiz nahmen.

Nicht jedes Einzelinteresse könne eben berücksichtigt werden, gähnen besserwisserische Stadtplaner. Die leidige Erfahrung mußte auch die Blankeneser Bürgerinitiative um die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Boehlich machen: Gegen die geplante Bebauung des Süllbergs durch den Heidelberger Investor Roland Ernst hatte sie leider nur schlappe 25.000 Unterschriften gesammelt. Die reichten zwar, um die genervten bezirklichen Stadtplaner zu vier alternativen Entwürfen zu nötigen. Doch das eigentliche Anliegen der BI – der Erhalt des traditionsreichen Süllberg-Restaurants – wurde in diesem Januar begraben: Der Bezirk versagte in seinem Verhandlungsgeschick um einen Vertrag, der den Investor zum Restaurant-Betrieb verpflichtet hätte. Statt dessen bleibt das Lokal jetzt zwar stehen – Nutzung jedoch ungewiß, Verfall garantiert.

Vergessene Lippenbekenntnisse zur Stadt der kurzen Wege

Transparenz und Informationen verweigerte die Stadt seinen Bürgern insbesondere im Vorfeld endgültiger Entscheidungen. Beispiel: Die Stadtteil-Initiative Hamm-Süd erfuhr von den behördenintern längst abgesegneten Absichten der Stadt, die ehemalige Eisfabrik an der Steinbeker Straße abzureißen, erst Mitte November 1995 aus der Presse. Zuvor hatten sie ein Jahr ehrenamtlicher Arbeit darauf verwendet, ein Finanzierungs- und Nutzungskonzept für die Jahrhundertwende-Fabrik zu erstellen. Untergebracht werden sollte dort nach ihrem Willen ein dringend benötigtes sozio-kulturelles Stadtteilzentrum. Diese Nutzung wurde vom Bezirk Mitte begrüßt.

Die Planungen der Ini belohnte die Stadt mit gewohnter Arroganz: „Wir haben die Steb mehrfach zu Gesprächen eingeladen. Doch die rührte sich nicht ein einziges Mal“, erinnert sich ein frustriertes BI-Mitglied. Statt dessen setzte sich der dialogunwillige Senat Anfang Dezember 1995 über alle Wünsche des Bezirks hinweg und diktierte, nach dem Abriß auf dem Gelände Wohnungen und Gewerbe zu bauen. Kein Sterbenswörtchen über die zusätzlich nötige soziale Infrastruktur. Vergessen auch die Lippenbekenntnisse zur „Stadt der kurzen Wege“ und „BürgerInnen-Beteiligung“. Der Erhalt des maroden Gebäudes sei teurer als ein Neubau, beharrte der Senat, ohne jemals die tatsächlichen Sanierungskosten ermittelt zu haben. Die Ignoranz gegenüber dem kulturhistorischen Wert dieser stadtteilprägenden Industriearchitektur sei dabei mal ganz außer acht gelassen.

Kalt lächelnd investorenhörig: der Oberbaudirektor

Zur Farce geriet auch die vermeintlich progressive Form der Bürgerbeteiligung für die Planungen am Holzhafen: 9.000 Mark stellte die Stadt der Anwohner-Initiative „Leben und Arbeiten am Hafenrand“ für eine alternative Planung zur Verfügung. Die renitenten Leute aus Altona sollten sich mal so richtig austoben können. Von ihren Vorschlägen nach einem übergreifenden Verkehrskonzept sowie mehr Wohnungen und Sozialeinrichtungen würde sich sicher nichts in der Baugrube wiederfinden, unkten die BIler schon damals. Anfang Januar bestätigte sich diese Vorahnung, denn die Anwohner hätten sowieso nicht in die Planung einbezogen werden dürfen. Der Senat hatte das Grundstück bereits vor Jahren den Investoren Büll & Liedtke als Ersatzfläche für ihr ursprünglich auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Ottensen geplantes Bauvorhaben zugesagt. Die öffentliche Diskussion zum neuen Bebauungsplan-Entwurf im November 1995 geriet damit zum Possenspiel: Ein siegesgewisser und investorenhöriger Oberbaudirektor sah kalt lächelnd über alle Einwendungen hinweg: Berücksichtigt konnten sie eh nicht mehr werden, weil die Anhandgabe des Grundstücks nach dem alten Baus-tufenplan längst rechtsgültig war.

Ähnlich wurde gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung bei der umstrittenen Millerntor-Bebauung unterlaufen: Auch hier verabredete man sich erst mit dem Investor und konstruierte dann den Bebauungsplan, so daß die vehementen Forderungen nach Nutzungsmix und Verkehrsberuhigung statt einem monströsen Büroklotz zu spät kamen: Die Bagger schaffen seit August 1995 Fakten auf dem Gelände des gesprengten Iduna-Hochhauses, die durch die besseren Argumente nicht mehr gekippt werden können.

Daß Anwohner-Planung in Hamburg grundsätzlich nicht ernst genommen wird, erleben derzeit auch die Mitglieder des Hafenrandvereins, die in dem grünflächenarmen Stadtteil für einen Park am Pinnasberg kämpfen. Und die Liste ist fortlaufend verlängerbar.

Daß eigenverantwortliche Planung zur Identifikation mit dem Stadtteil und der Stadt beiträgt, interessiert die Planer nicht. Verhandelt wird zwischen Politik, Investoren und Verwaltung, den Betroffenen präsentiert man bestenfalls – zeitlich bewußt verzögert – Teil-Entscheidungen: wenn sie unumstößlich sind.

Ein ernsthaftes Bemühen, sich die Kompetenz der Bürger vor Ort für die Stadtentwicklung nutzbar zu machen, ist in Hamburg nicht existent. Anderslautende Behauptungen sind reine Propaganda eines Oberbaudirektors, der am liebsten eh alles alleine entscheiden würde.

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