: Politisches roll back?
■ Zum Konflikt um die Verkehrsberuhigung im „Viertel“. Es ist noch Zeit für Politik von Ralf Fücks
Im Ostertor/Steintor findet gegenwärtig ein exemplarischer Konflikt über die Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik in Bremen statt, dessen politische Bedeutung weit über das Quartier hinausgeht. Hier, wo die Grünen stärkste Kraft in Beirat und Ortsamt sind, wird vor den Augen der ganzen Stadt das Scheitern rot-grüner Verkehrsberuhigungs-Konzepte inszeniert. Wie die Mehrheit der Viertel-Bewohner über das neue Verkehrskonzept für den Ostertorsteinweg / Vor dem Steintor und die umliegenden Wohnquartiere denkt, spielt dabei keine Rolle. Sie sind nicht organisiert und äußern sich nur vereinzelt. Die Szenerie wird bestimmt von örtlichen Kaufleuten, die, assistiert von Handelskammer, CDU und AFB, medienwirksam ihre Strangulierung durch ein „autofeindliches“ und „wirklichkeitsfremdes“ Modell beklagen und umgehende Revision fordern. Im Senat können sich Wirtschaftssenator und Bausenator, beide CDU, die Bälle zuspielen. Was von ihnen erwartet wird, hat der große Vorsitzende Bernd Neumann auf dem Neujahrsempfang seiner Partei im Parkhotel unter dem Jubel des Publikums verkündet: Abräumen der Verkehrsberuhigung im Viertel und Beerdigung der Straßenbahnlinie 4. Ein Narr, wer den Zusammenhang nicht sieht.
Schon in „Ampel“-Zeiten wurde die Umgestaltung des Viertels, die in einem sechsjährigen Diskussionsprozeß unter Beteiligung von Bürgerinitiativen, Kaufleuten, Gutachtern, Senatsbehörden maßgeblich von Beiräten und Ortsamt erarbeitet wurde, nur halbherzig gegen den hinhaltenden Widerstand von Wirtschaftsressort, Handelskammer und Kaufleuten vorangebracht. So wurde entscheidende Zeit verloren. Der Abschluß der notwendigen rechtlichen Verfahren fiel mit dem Ende der Ampel zusammen. So wurde ausgerechnet ein CDU-Bausenator, dessen Partei das Projekt immer bekämpft hatte, zum Erben des weitestgehenden Versuchs, eine höhere Lebensqualität durch weniger Autoverkehr zu erreichen. Der Machtwechsel in Senat und Bürgerschaft hat die Ausgangsbedingungen für diesen Versuch entscheidend verändert. Ermutigung und Unterstützung aus dem Senat ist nicht mehr zu erwarten, im Gegenteil: aus dem Wirtschaftsressort und der CDU wurde den von Umsatzrückgängen erschreckten Kaufleuten signalisiert, daß der ganze Spuk alsbald von oben beendet würde.
Der Start des Projekts war schon so angelegt, als ob das Kind mit Absicht in den Brunnen geschubst werden sollte: Mitten im Winter, wenn sich die sinnlichen Qualitäten einer Bummelmeile nicht entfalten können, ohne offensive Informations- und Sympathiekampagne, ohne Eröffnungs- Straßenparty – stattdessen wurden Polizisten aufgestellt, die nach einer Woche Ermahnungen frustrierten AutofahrerInnen Strafmandate ausstellten.
Eine so einschneidende Veränderung der Verkehrsbeziehungen in einem ganzen Stadtteil, die Verhaltensänderungen von Zehntausenden Anwohnern, Kunden, Besuchern erfordert, kann nicht so nebenbei in Kraft gesetzt, sie muß inszeniert und moderiert werden. Es war absehbar, daß die neue Verkehrsregelung trotz aller ausgefeilten Planungen zahlreiche praktische Probleme, Ärger und Ungereimtheiten mit sich bringen würde. Sie kann sich nur als offenes, lernfähiges System entwickeln, das Korrekturen ermöglicht, wo sich konkrete Regelungen nicht bewähren. Und sie erfordert gerade in der Anlaufphase einen großen Beratungs- und Informationsaufwand – auch um die BesucherInnen aus anderen Stadtteilen und aus der Region mit den neuen Spielregeln und Angeboten vertraut zu machen. Das alles ist nur unzulänglich oder gar nicht geschehen. So fährt man ein ungeliebtes Vorhaben gegen die Wand.
Man kann mit guten Gründen über den Provinzialismus vieler Kaufleute klagen, die gegen die Umgestaltung der Viertel-Hauptstrasse in eine verkehrsberuhigte Zone zu Felde ziehen, statt sie als Chance für interessante Läden, Gaststätten und Dienstleistungen zu begreifen. Aber das Viertel braucht die Geschäftsleute, und zwar vor allem die kleinen Selbständigen mit Ideen und Service.Deshalb ist der Hinweis wenig hilfreich, die 300 Kaufleute im Viertel seien gegenüber dem Interesse der 30.000 Bewohner an frischer Luft, Sicherheit und Ruhe zu vernachlässigen. Ziel der Verkehrsberuhigung war doch nicht die Verwandlung des Viertels in ein verkehrsberuhigtes Dorf in der Stadt, sondern eine neue Qualität des öffentlichen Raums und bessere Bedingungen für FußgängerInnen, Radfahrer und den ÖPNV. Ohne vielfältigen Einzelhandel stirbt das Viertel ab. Es verliert nicht nur seinen Flair; es verliert auch an Lebensqualität, wenn die Möglichkeit verlorengeht, um die Ecke einzukaufen.
Qualifizierter Einzelhandel kann sich ohne Kunden aus anderen Stadtteilen und der Region nicht halten. Diese Kundschaft wird durch die Panikparolen der Kaufleute abgeschreckt, das Viertel sei großräumig vom Zugangsverkehr abgeschnitten und mit dem Auto nicht mehr erreichbar. Blanker Unsinn. Weshalb wird nicht offensiv mit der Botschaft geworben: „Drei Straßenbahnlinien, drei Parkhäuser plus Taxi-Zubringer vom Weserstadion in das bunteste Viertel der Stadt“? Weshalb bieten die Viertel-Geschäfte keinen gemeinsamen Liefer-Service für ihre Kundschaft an? Hier könnte der Wirtschaftssenator seine Mittelstandsfreundlichkeit mit einer Anschubfinanzierung unter Beweis stellen.
Ein zentraler Kritikpunkt ist die Öde der verkehrsberuhigten Hauptstraße. Die Autos sind weg – und noch füllt nichts den freigewordenen Straßenraum als der vormittägliche Lieferverkehr, gelegentliche Radfahrer und zu schnell fahrende Straßenbahnen und Taxen. Das liegt nicht daran, daß die Verkehrsberuhigung zu weit, sondern daß die Umgestaltung Richtung Flaniermeile nicht weit genug geht. Die Verdrängung der PKW hat eine öffentliche Bühne freigemacht, die erst noch bespielt werden muß. Nachbesserungen sind also nötig. Zum Beispiel: – die durchgängige Verbreiterung der Fußwege, um den Charakter als „Bummelmeile“ zu betonen (die jetzige Gestaltung ist weder Fisch noch Fleisch) – eine generelle Ausnahmegenehmigung für Geschäftsleute in Fußgängerzonen und vergleichbaren Straßen, ihre Waren auch vor den Schaufenstern zu präsentieren und ihre Geschäfte zum Straßenraum zu öffnen – mehr Grün im Straßenraum – Ideen und Geld für Straßenkunst in der verkehrsberuhigten Zone etcpp.
Auch die Vergabe neuer Konzessionen für Cafes und Restaurants in der Viertel-Hauptstrasse sollte kein Tabu mehr sein. Das alles erfordert freilich eine unbürokratische Unterstützung durch die senatorischen Behörden – und die gibt es, wenn überhaupt, nur durch massiven Druck aus dem Viertel. Solange sich AnwohnerInnen, Beirat und Kaufleute in den Haaren liegen, ist nichts zu bewegen.
Wer das Grundkonzept der Verkehrsberuhigung retten will, muß jetzt schnell mit AnwohnerInnen und Kaufleuten über Nachbesserungen und konkrete Problemlösungen reden. Die großen Versammlungen der letzten Tage können nur der Auftakt für diesen Beratungsprozeß sein. Dafür müssen Ortsamt und Beiräte die Initiative übernehmen. Ist es dazu nicht zu spät? So rasch, wie sich das manche Brauseköpfe denken, wird das neue Verkehrssystem nicht abgeräumt werden können:
Bisher fehlen alle seriösen Bewertungsgrundlagen und Vergleichsdaten, die eine Rücknahme sachlich rechtfertigen könnten. Bevor entsprechende Beschlüsse von Senat und Baudeputation herbeigeführt werden können, müssen die zuständigen Beiräte gehört werden. Zumindest mit der Aufhebung der jetzigen Verkehrslenkung in den Wohnquartieren werden substantielle Entscheidungsrechte der Beiräte berührt – daraus ergeben sich rechtliche Möglichkeiten, gegen ein Diktat des Bausenators vorzugehen. Und –last not least- hat die SPD-Bürgerschaftsfraktion in diesen Tagen einen klaren Beschluß auf der Linie „Nachbesserung statt Rücknahme“ verabschiedet und angekündigt, daß Alleingänge des Bausenators nicht akzeptiert würden. Bei allem Zweifel an der Standfestigkeit der Genossen – man sollte sie beim Wort nehmen. Es gibt noch Spielraum für Politik – auf der Straße und in den Institutionen.
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