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CDU: Freie Fahrt für Autos

■ Bausenator Schulte: Verkehrsberuhigung im Ostertor/Steintor wird zurückgenommen

„Sofortige Entscheidung“ hatte die Interessengemeinschaft der Kaufleute im Viertel, vertreten durch die Werbeagentur Brasilhaus, am Donnerstag formuliert: „So geht es nicht weiter“. Am Freitag stellte sich Bausenator Bernd Schulte vor die Presse und erklärte: „Das Viertel wird wieder für den Kundenverkehr freigegeben.“ Die „Entwidmung“ von Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor soll rückgängig gemacht werden. „Nun bewahrheiten sich Befürchtungen, daß die Maßnahme zu radikal ist.“ Durchgangsverkehre sollen allerdings durch Tempo 30 abgeschreckt werden, am Sielwall werde es ein Abbiegegebot geben, damit niemand gerade fahren und die Einkaufstraße als Schleichweg nutzen kann, wenn die Autos sich auf dem Osterdeich oder in der Bismarckstraße stauen.

Der Bausenator begründete diese Kehrtwende mit „dem dramatischen Stimmungsumschwung bei den anliegenden Kaufleuten“: „Da ist bei einigen Betrieben richtig Existenzangst.“ Es sei „das Gebot der Stunde, die Kaufleute zu beruhigen“. Schulte räumte ein, daß er zunächst an ein halbes Jahr Probephase gedacht habe, obwohl er sich „nie mit dem Projekt identifiziert“ hatte. Denn „eine fachliche Bewertung ist nach drei Wochen noch nicht möglich.“ Nun aber könne er es nicht verantworten, das Experiment fortzuführen: „Ab heute trage ich die Verantwortung, wenn auch nur ein einziger Betrieb aufgeben muß.“

Mit der SPD war diese Entscheidung nicht abgesprochen. Weder in der Deputation am Donnerstag noch im Senat am Dienstag dieser Woche hatte Schulte seinen Schritt angekündigt. Der kollegial verfaßten Landesregierung hatte er nur erklärt, daß er davon ausgeht, daß er als Fachsenator die Entscheidung allein treffen könne. Das hätten die anderen zur Kenntnis genommen, versicherte Schulte. „Ich brauche hier keine Mehrheiten“, betonte er gegenüber den Journalisten. „Das ist meine Entscheidung als fachlich zuständiger Senator.“

Noch am Montag hatte die SPD-Fraktion sich eindringlich für die Fortsetzung der Erprobungsphase eingesetzt. Am Dienstag hatte die Umweltsenatorin nach einem Gespräch mit dem Bausenator schriftlich verbreitet: „Was mehr als fünf Jahre lang geplant worden ist, darf nach knapp drei Wochen nicht schon wieder aufgegeben werden. Die Verkehrsberuhigung im Viertel verdient eine wirkliche Chance.“

Als sie gestern davon erfuhr, daß der Bausenator auf den Koalitionspartner keine Rücksicht genommen hatte, meinte sie, es gebe keine Vereinbarung über die Entscheidungskompetenzen in dieser Frage: „Ich finde es bedauerlich.“

Zunächst passiert – nichts

Vollkommen offen ist für den Bausenator die Frage, was nun wirklich passiert. „In den nächsten Tagen“ jedenfalls sei es nach wie vor verboten, über den Ostertorsteinweg zu fahren. „Wo Beteiligungsrechte bestehen, werden sie selbstverständlich beachtet werden", steht in seiner Erklärung. Aber wo sie bestehen, konnte der Senator so genau auch nicht sagen. In den Nebenstraßen zum Beispiel geht nichts gegen die Beiräte, die Anfang der Woche die Verkehrsberuhigung mit den Stimmen der SPD und der Grünen noch befürwortet hatten, dort sind sie „entscheidend“. Für die „Widmung“ des Ostertorsteinweges für den Verkehr braucht das Bauressort nur die „Beteiligung“ der Beiräte, sie müssen nicht zustimmen. Aber bevor die Ende Februar tagen, darf er rein rechtlich nichts machen. Wenn Beteiligungsrechte der Beiräte verletzt werden, werde man sofort vor Gericht gehen, versicherte Ortsamtsleiter Robert Bücking.

Unter den Juristen besteht kein Einvernehmen darüber, ob das Verfahren zur „Widmung“ eines Weges für Verkehr genauso kompliziert sein muß wie die „Entwidmung“ oder nicht. Immerhin, so argumentierte der Ortsamtsleiter Bücking, gebe es Firmen wie StadtAuto, die im Hinblick auf die Verkehrsberuhigung ihre Geschäftspolitik gestaltet und investiert hätten. Oder Bewohner, die wegen der versprochenen Verkehrsentlastung sich Wohnungen gekauft hätten. Die alle hätten ein Anrecht darauf, angehört zu werden und ihre Interessen in einem förmlichen Verfahren einzuwenden, wenn nun wieder alles anders werden soll. Ohne stichhaltige Begründung seien Maßnahmen, die in die Interessen von Anwohnern eingreifen, nicht durchzuführen. Bücking war deutlich besorgt um den Riß, der durch das Viertel geht: „Das wird böses Blut geben“. Wenn jetzt ohne jegliche Abwägung „allein aus dem Bauch“ heraus und nur im Sinne der Kaufleute entschieden werde, meinte er, könne es „langwierige juristische Auseinandersetzungen“ geben – die er persönlich „zum Kotzen“ finde.

Bausenator Schulte wollte das juristische Risiko nicht ausschließen – die rechtliche Beurteilung der Folgen seiner Entscheidung würde nun erfolgen, versprach er. Nicht einmal über die Frage, ob PKW-Fahrer, die in den nächsten Wochen über den Ostertorsteinweg oder durchs Steintor fahren, bis zum letzten Tag weiter zur Kasse gebeten werden sollen, wie es dem Buchstaben des Gesetzes entspräche, hat er mit dem Innensenator noch nicht geredet. K.W.

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