: Auch Gorbatschow ist genmanipuliert
■ Novel Food: In den USA platzen die quetschfest gezüchteten Tomaten, in Europa platzt hoffentlich noch manch ein Traum der Genmanipulatoren. Gentech vor allem bei Enzymen
Welch ein Fortschritt: Die Tomaten matschen nicht mehr, sie platzen. Die im Juni 1994 durch das Unternehmen Calgene auf den US-Markt geworfene Tomatensorte „Flavr-Savr“ ist dank Genmanipulation so fest und prall, daß sie bei recht unsanfter Behandlung aufplatzt. Gentech sollte die „Anti-Matsch-Tomate“ eigentlich unempfindlich gegen Transportschäden machen. Nun hat Calgene extra ein eigenes Verpackungs- und Vertriebssystem für sein neues Produkt aufbauen müssen.
Noch können wir Deutschen darüber schadenfroh lachen. Hierzulande sind die Knall- und Platztomaten nicht erhältlich. Die Länder der Europäischen Union sind bei der Zulassung von genmanipulierten Nahrungsmitteln, „Novel Food“, längst nicht soweit wie die USA. Dort gibt es nach einer Liste des „Gen-Ethischen Netzwerkes“ inzwischen genmanipulierte Sojabohnen, Kürbisse, Kartoffeln, Mais und Raps sowie Milch- und Käseprodukte. Weil das Rinderwachstumshormon rBST dort zugelassen ist und die Milch dieser „Turbokühe“ normaler Milch untergemischt wird, enthält bereits jeder fünfte Liter rBST-Milchanteile. Bei Hartkäse liegt der gentechnisch behandelte Anteil noch höher: 60 Prozent sind zwecks Reifung mit dem Labferment Chymosin behandelt worden.
Wir EU-VerbraucherInnen sind von diesen Produkten aus der Gentech-Küche weitgehend verschont geblieben – allein schon deshalb, weil die Unternehmen um die kritische Einstellung der KonsumentInnen wissen und vorsichtig agieren. Dennoch haben Ciby Geigy und andere Multis die Vermarktung von genmanipuliertem Mais, Raps, Soja und Radiccio-Salat bei den EU-Gremien bereits beantragt. Und ab Februar spielen die britischen VerbraucherInnen Versuchskaninchen: Dann bieten die Supermarktketten Sainsbury's und Safeway manipuliertes Tomatenmark an.
Deutschlands BürgerInnen dürfen sich vor unfreiwilligem Verzehr von Novel Food indes noch ziemlich sicher fühlen. Mit drei Ausnahmen: Erstens sind hier natürlich auch US-Produkte erhältlich. Zweitens wird das Labferment Chymosin auch in der Schweiz und anderen Ländern bei der Käseherstellung verwendet, und Schweizer Käse gibt es bekanntlich an jeder Ecke zu kaufen. Drittens werden inzwischen auch hier eine ganze Reihe von Enzymen genmanipulativ hergestellt, weil es bei „nichtlebenden Organismen“ – anders als bei Tomaten oder Turbomilch – keines speziellen Zulassungsverfahrens bedarf. Enzyme aber spielen eine immer größere Rolle in der Lebensmittelverarbeitung. Nicht einmal der ehrwürdige Gorbatschow ist vor Genmanipulation sicher: Bei der Herstellung des gleichnamigen Wodkas in Schweden wird laut Greenpeace-Magazin das gentechnisch erzeugte Enzym „Amylase“ eingesetzt. Wer Novel Food also politisch korrekt boykottieren will, sollte das Wodkasaufen lassen und zu Demeter-Cidre greifen.
Bisher also sieht es so schlimm noch nicht aus in deutschen Landen. Zumal der verbraucherfeindliche Entwurf einer „Novel-Food- Verordnung“ durch EU-Industriekommissar Martin Bangemann wohl doch keine Mehrheit im Europaparlament finden wird. Der „Codex Alimentarius“, der als Ausschuß der UN-Weltgesundheits- und Welternährungsorganisation seit Unterzeichnung des Gatt-Abkommens im April 1994 weltweit verbindliche lebensmittelrechtliche Normen zu erheben sucht, könnte am Ende aber alle EU-weiten Regelungsversuche unterlaufen. Im Oktober 1994 schlug die US-Delegation bei einem Treffen des Codex Alimentarius vor, jedwede Kennzeichnung gentechnisch erstellter Produkte zu verbieten: Antimatschtomaten für die ganze Welt. Ute Scheub
Das Thema wird auch im Rahmen der Grünen Woche diskutiert: „Ökolandbau oder Gentechnologie – wer rettet die Welternährung?“ Mo, 22.1., 14 bis 16.30 Uhr, ICC Saal 7.
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