: Schluß mit lustig
Über „Schuldig auf Verdacht“ (Mo. 19.25 Uhr, ZDF), einen Film zur Mißbrauchsdebatte, schreibt ■ Katharina Rutschky
Kann der „sexuelle Mißbrauch“, ein Straftatbestand und außerdem inzwischen eine psychofolkloristisch ausgeuferte Stimmungslage, verfilmt oder sonstwie ästhetisch plausibel transformiert werden, so wie wir es von Mord oder organisiertem Verbrechen längst gewöhnt sind? Das Land Berlin hat vor ein paar Wochen die Frage positiv beantwortet und Constance Schall, dem Autonomen Mädchenhaus sowie dem Verein „Bauen für Frauen“ einen Preis für ein künstlerisches und auch sonst geglücktes Gemeinschaftsprojekt zuerkannt.
Zu den emotional packenden Highlights der Ausstellung „Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen und Wege des Ausbruchs“ gehörten ein Monopoly zum Problem der Sachverständigenbegutachtung und vor allem ein Mißbrauchserlebnisraum für die drei von vier Mädchen, elf von zwölf Jungen, die den Mißbrauch nicht selbst erlebt haben, aber an den „Erfahrungen und Erlebniswelten“ der Mißbrauchten teilhaben sollten, wenistens fünf Minuten lang.
„Es ist stockfinster in dem leeren Zimmer mit dem Kuscheltier in der Ecke. Der Raum hallt unter den Schritten, die immer näher kommen, dann quietscht die Tür, und ein hastiger, ekelerregender Atem ist ganz nah am Ohr. Der über Tonband eingespeicherte Herzschlag des imaginären Mädchens ist noch immer viel lauter und schneller als der eigene“ (Junge Welt vom 1.11.95).
Kunst als Ausweg – nur besser müßte sie sein
Es ist also, ästhetisch gesehen, der gute alte Gruselhorrorfilm von der verfolgten Unschuld, die spruch- und bewegungsunfähig wie im Traum dem immer näher rückenden Ungeheuer sich entgegen änstigt und zum Opfer fällt, wenn nicht in letzter Sekunde der Retter naht ... Diese engagierte Kunstübung war Frauensenatorin Christine Bergmann den Frauenpreis 1995 wert, ausgelobt für künstlerische Projekte im Wettbewerb „Stopp der Gewalt – So löst mann keine Probleme“.
Eigentlich ist daran nichts zu bemängeln; denn die jetzt endlich erfolgende Überführung des „sexuellen Mißbrauchs“, eines eingegrenzten Straftatbestandes, vor allem aber eines gesellschaftlichen Phantasmas („Dunkelziffer“) von den horriblen Untergründen der Zivilisation in literarische und filmische Genres ist eine sachgerechte Reaktion, die zur Beschriftung des allgemeinen Unbewußten mehr beitragen kann als jene von ihrer eigenen Romantik behinderten und gedrückten Rettungsarbeiten sogenannter Professioneller. Kunst ist der Ausweg – nur besser müßte sie sein und noch viel entschlossener auf Ausdrucksmittel setzen, statt Fakten und Fälle im Namen der Opfer halb als Schocker, halb als sozialpädagogischen Crashkurs zu inszenieren.
Unter dieser Unentschlossenheit leidet auch der Film „Schuldig auf Verdacht“ von Petra Haffter, der nun nicht den „Mißbrauch“, sondern den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ zum Thema hat. Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis jemand sich dieses Sujets annehmen mußte, nachdem schon eine beträchtliche Portion von amerikanischen Filmen zum ersten Thema hier gelaufen sind. Der Ausgang des Montessori-Prozesses in Münster und zahlreiche Bezichtigungen von Vätern in familiengerichtlichen Auseinandersetzungen sprechen sich allmählich herum und lassen „Schuldig auf Verdacht“ als fairen Ausgleich erscheinen.
Die Geschichte ist einfach: Scheidungsvater soll seinen vierjährigen Sohn sexuell mißhandelt haben. Es kommt zu Aufklärungsversuchen von schlechten und guten Experten. Anwälte, Gerichte und das Jugendamt bekommen gut zu tun – nützt aber alles nix. Durch traurig beschlagenes Autofenster schaut der Vater seinem Sohn nach, der auf Nimmerwiedersehen in die Schule entschwindet. Das Kind hat genug durchgemacht, und deshalb verzichtet der Vater auf die nächsthöhere Instanz, und wir sind dankbar für diese Einsicht, die uns weitere Ausflüge in die keineswegs spannende Welt des Sorge- und Umgangsrechts, des aufblühenden Gutachterwesens und dergleichen Ödnisse mehr erspart, die auf Kosten des eigentlichen Themas gehen.
Das Böse wuchert und wabert in jedem
Was ist das eigentliche Thema, von dem man sich wünscht, daß es endlich herzhaft ergriffen und nicht sozialpädagogisch unter den Teppich gekehrt wird? Es ist das Böse, das in einer aufgeklärten Gesellschaft keineswegs verschwunden ist, sondern wuchert und wabert, hilf- und richtungslos auf Erlösung wartet. Das Böse ist nicht nur eine Folge von Kränkungen, Enttäuschungen, gar einer bösen Kindheit, sondern doch wohl eine genuine Möglichkeit, die in jedem schlummert. Wenn sonst nichts, dann lehrt der „sexuelle Mißbrauch“, aber auch der „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ das Ausmaß der destruktiven Energien, die sich gegen den gesunden Menschenverstand, die Wissenschaft und jeden Anstand spielend durchzusetzen vermögen.
Der Film zeigt ein ziemlich unschuldiges Opfer, diesmal den Vater statt des Kindes oder der Frau. Natürlich kann ein erwachsener Mann niemals so rührend Opfer werden wie ein Kind, und deshalb sollte man in diese ästhetische Sackgasse gar nicht erst rennen. Spannend wäre die Untersuchung, wie sich ein normales Scheidungspaar in so ein teuflisches Duett verstrickt, unter reger Anteilnahme der unmittelbaren Umwelt, die auch ihr Süppchen mit dem oder jenem zu kochen hat und die Gelegenheit nicht ungenutzt läßt.
Die Mutter, die den Verdacht faßt, ist psychologisch viel interessanter als das männliche Opfer, kommt aber hier gar nicht vor. Sicher, der Mann hat sein Kind nicht sexuell mißbraucht. Das zu klären ist trivial oder sollte es doch sein. Andererseits gilt ästhetisch: Wer ein Verhängnis auf sich zieht, muß sich schuldig gemacht haben. Das ist die alte Tragödie, die man hinter dem Lehrstück erahnt.
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