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SanssouciVorschlag

■ "Das weiße Meer": Dritte Runde der Lesungsreihe im HdKdW

Zwei Brüder, einer bißchen verrückt, suchen ihre Herde. Auf entfernten Gipfeln stehen sie sich gegenüber. „Hast du den Bullen gesehen?!“ – „Tztz“. Mit unbewegter Miene schnalzt Fehmi oral history, die Klasse grinst. So ist das mit dem Hochland Albaniens. Die dritte Wochenendlesung zum „Weißen Meer“ im HdKdW hat „Landschaft“ zum Thema, es lesen der Ägypter Edwar al- Charrat, der Libyer Ibrahim al- Koni, der Albaner Ismail Kadaré. Fehmi Ferizi aus dem Kosovo erzählt im Deutschkurs Geschichten seines Vaters. Die fangen mit „Es war einmal“ an. So differenziert ist die nationale Prosa Ismail Kadarés nicht immer. Mit seiner „Schleierkarawane“ liest er am Sonntag schlechte Literatur. Die Mittelmeerlandschaft zwischen Istanbul und der Balkanhalbinsel erstickt in literarischem Schmand. Wunderbar aber seine „Chronik in Stein“. Hier steht Landschaft für nichts mehr, schon gar nicht für das traurigste aller Tauschverhältnisse, die Widerspiegelung von Seele und Welt. „Bald wird sich die Erde in ein Schlachthaus verwandeln, hat Javer gesagt. Ja, so hat er gesagt. Die Welt wird in Blut ersticken. So hat er gesagt. Und wo kommt das Blut heraus, fragte ich, Berge und Felder haben doch kein Blut.“

Eine andere Geschichte der Kindheit: „Safranerde“, al-Charrats Roman aus dem Alexandria der 30er Jahre. Kerosinöfen, koptische Schriftzeichen auf Engelsgebäck, 1001 Nacht, englische Player's. Das Meer. Präzise Beschreibung, hingeträumt auf ihre Übergänge, kann – huch! – plätschern. Diesseits von Ich und Welt durchkreuzt Landschaft sich in Passagen, Reflexion zersplittert im Schweben grammatischer Personen. „Wieviele Leute war er, sehr viele; und doch war er anders als alle.“ Ibrahim al- Koni kann so was nicht. Sein Bericht von den rites de passage, denen sich ein junger Tuareg unterwirft, integriert Initiation, Animismus und Mythologeme der südlibyschen Sahara einem späten Lehrstück für strukturalistische Ethnographie. Doch auch hieraus kann manches Schöne kommen, „Blutender Stein“, der Roman des libyschen Botschaftsangehörigen in Bern, ist spannend geschrieben. Die Autoren lesen, Lothar Trolle, Adolf Endler und Rolf Schneider tragen die Übersetzungen vor; am Sonntag um 11 Uhr wird diskutiert. Fritz v. Klinggräff

Von heute bis Sonntag, je 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten.

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