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„Wir wollen nicht als Bittsteller an verschlossene Türen klopfen“

■ Wladimir Awertschew, Parlamentsabgeordneter der Jabloko-Fraktion, zur Aufnahme Rußlands in den Europarat

taz: Der Europarat wird Rußland wohl mit knapper Mehrheit aufnehmen. Hat es das eigentlich schon verdient?

Wladimir Awertschew: Eine schwierige Entscheidung. Wer sagt, Rußland sei noch kein vollwertiger Rechtsstaat, hat natürlich recht. Tschetschenien spricht für sich. Im Rechtssystem und Strafvollzug hapert es auch noch. Vergleichen wir aber Rußland mit der Sowjetunion, dann hat das Land unbestreitbar einen riesigen Schritt Richtung Freiheit und Achtung der Menschenrechte getan. Selbst wenn die Macht zur Willkür neigt, sie kann es heute nicht mehr verbergen oder ungeschehen machen. Deshalb muß man Rußland aufnehmen. All jene, die diesen Prozeß tatkräftig vorangetrieben haben, müßten sich im Stich gelassen fühlen.

Präsident Jelzin warnte kürzlich: Sollte Straßburg die Aufnahme verweigern, würde es den russischen Kriegstreibern in Tschetschenien in die Hände spielen. Fällt Ihnen dazu etwas ein?

Ich habe es nicht gehört. Sollte er es gesagt haben, ist es verwunderlich, dergleichen aus dem Munde des russischen Oberbefehlshabers zu hören, dem die Verfassung quasi autoritäre Macht zuschreibt. Das hieße ja, er kontrolliert die Entscheidungsprozesse nicht. Äußerst beunruhigend.

Wäre nicht ein Prozedere denkbar wie es die Europäische Union im Falle der Türkei gehandhabt hat? Assoziierter Status bis ...?

Denkbar. Allerdings sind die Aussichten in der Türkei gerade jetzt nicht rosig. Vielleicht sogar alarmierender als bei uns. Wenn sich der Europarat wie eine exklusive Gesellschaft jener verhält, die das Ziel schon lange erreicht haben, verfehlt er seine Aufgabe. Es geht doch darum, dort, wo es im argen liegt, Rechtsverständnis und Rechtsentwicklung anzuschieben.

Rechnen Sie fest damit, daß die Aufnahme einen disziplinierenden Effekt auf die „Partei der Macht“ ausüben wird?

Ich hoffe. Wer sonst? Unser Parlament ist wegen seiner beschränkten Mitsprache dazu nicht in der Lage.

Außer den Extremisten am linken und rechten Rand hat sich keine ernstzunehmende politische Kraft gegen eine Integration in Europa ausgesprochen ...

Selbst die Ultraradikalen haben andere Probleme. Die Sache ist jedoch die: Das Klima kann sehr leicht umschlagen, wenn Straßburg abschlägig entscheidet. Kommunisten und gemäßigte Nationalisten werden dann sagen: Schluß jetzt, es reicht. Wir wollen nicht als Bittsteller weiter an verschlossene Türen klopfen. Erniedrigung bliebe nicht folgenlos.

Welche Konsequenzen hätte das für den außenpolitischen Kurs? Ohnehin will der neue Außenminister verstärkt russische Interessen ins Spiel bringen?

Bisher habe ich keine Umorientierung entdecken können. Im Gegenteil, Primakow fängt an, umzusetzen, was schon seit einiger Zeit auf dem Papier offizielle Linie ist. Er löst Postulate ein, die dem nationalen Interesse entsprechen. Ich kann dem nur zustimmen.

Wir haben ja keine richtige Außenpolitik, bestenfalls so etwas wie eine Ideologie. Der Romantizismus der Aufbruchzeit, die Hoffnung, sofort den Zugang zur Weltgesellschaft zu erhalten, ist verflogen. Unsere Pioritäten gelten der GUS. Doch brauchen die jungen Staaten keine Angst zu haben. Ihre Souveränität ist nicht bedroht. In erster Linie sollten die wirtschaftlichen Beziehungen wieder ausgebaut werden, selbstverständlich als gleichberechtigte Partner.

Was heißt das mit Blick auf die Beziehungen zu den USA?

Die Beziehungen zu den USA müssen anders gestaltet werden. Früher nahmen wir Entwicklungen in der Welt durch das Prisma des russisch-amerikanischen Verhältnisses wahr. Die russisch-amerikanischen Beziehungen in Europa müssen wir jetzt durch das Prisma unseres Interesses an Europa sehen. Was dort passiert, hat für uns höhere Priorität.

Worum ging es uns auf dem Balkan? Die Rede war zwar von der Rettung der Serben. Doch eigentliches Ziel war, bei der Lösung des größten Konfliktes im Nachkriegseuropa gleichberechtigt mitwirken zu können. Das Ergebnis war positiv, und darauf kann nun ein Dialog mit der Nato und anderen europäischen Institutionen aufbauen. Eine Orientierung Richtung China oder Südostasien würde die Realität verkennen. Die Chinesen wollen mit uns nicht enger zusammenarbeiten. Egal, was unsere Nationalisten auch immer behaupten. Im Gegensatz zu Europa bleibt dort alles beim alten. Interview: Klaus-Helge Donath

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