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■ NormalzeitEat the Rich!

Der Museumspädagogische Dienst läßt sich immer mal wieder schöne neue „Events“ in altehrwürdigen Sammlungen einfallen – „Tropennächte“ im Gewächshaus des Botanischen Gartens und „Sibirische Klänge“ im Naturkundemuseum zum Beispiel. „Schauplatz Museum“ heißen diese Veranstaltungen. Jetzt haben sie aber auch mal etwas, sagen wir: Umstrittenes verzapft: Im Völkerkundemuseum Dahlem fand eine mehrtägige Veranstaltung über einen Stamm aus Indonesisch-Papua statt.

Dazu hatte man extra zusammen mit dem westdeutschen Arztehepaar Konrad fünf Angehörige der Asmat für eine Woche eingeflogen. Insgesamt kostete dieser ethnologische Exkurs zum Anfassen über 30.000 Mark. Dafür mußten die „Menschen aus dem Holz“, wie sie sich nennen, am sonntäglichen Museums-„Familientag“ vor 2.000 Menschen aus Berlin aber auch gehörig – das heißt in Stammestracht – singen und schnitzen. Und dann sagte die Papua-Kennerin Frau Dr. Konrad irgendwann auch noch: „Jetzt laß ich die Asmat tanzen!“ Gesagt, getan. Die anwesenden Einzelkinder wollten die ganze Zeit von ihren Erziehungsberechtigten vor allem wissen: „Frieren die nicht?“ und „Sind das richtige Menschenfresser?“ Nicht mehr! wurde ihnen meist flüsternd beschieden.

Es traf sich, daß just in diesen düsteren Tagen die „Befreiungsbewegung Papua“ (OPM) am anderen Ende des Landes einige Europäer entführt hatte, von denen einer, der Berliner Frank Momberg, mit den Forderungen der OPM kurz darauf wieder freigelassen wurde.

„Die indonesische Regierung schämt sich dieser Menschen, ihrer Primitivität und ihrer Lendenschurze“, erzählte er anschließend der Presse. Einigen ethnologisch gebildeten Zuschauern im Völkerkundemuseum ging es ähnlich – weil die Asmat dort ihrer Meinung nach vorgeführt wurden: „Es fehlte das Dialogische daran“, meinte zum Beispiel ein Hamburger Anthropologe, „man kann solche Leute nicht einfach auf die Bühne stellen – so wie früher bei Hagenbecks Exotenschauen.“ Immerhin: Den fünf Holzbildhauern hat dieser Europa-Ausflug großen Spaß gemacht! (Sie leben vom Verkauf ihrer Plastiken.)

Noch witziger wäre es freilich gewesen, wenn der Asmat-Besuch es ermöglicht hätte, dabei etwas über uns – von außen – zu erfahren. Die fünf haben bestimmt interessante Beobachtungen gemacht – in Berlin, im Völkerkundemuseum, im Hotel, in dem sie eine Woche lang untergebracht waren, und mit dem von ihnen gut angenommenen Schultheiss- Bier...

Der Kopfjäger als Headhunter: Über so manch Brandenburger Torheit, die uns gar nicht mehr auffällt, hätten sie wahrscheinlich Erhellendes zu bemerken gehabt. Umgekehrt hätten Dr. Konrad und andere Urvölker-Experten vom Dienst ihnen sicher lichtbildgestützt viel Kluges über die Asmat-Kultur erzählen können. Man muß sich das nur mal vorstellen: Die fünf waren zuvor noch nie aus ihrem Dorf herausgekommen – und dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag: mit Boot, dann Flugzeug, Zwischenlandung in Gaudi-Arabien, Flughafen Tegel, Winter, Taxi, Hotel Heidelberger Hof, wieder Taxi, Museum Dahlem – Südsee-Abteilung. Bum! Und dann das Ganze wieder retour. Was für ein Kulturereignis! Helmut Höge

Am heutigen Samstag läuft im Dahlemer Museum um 20 Uhr noch der australische Kopfjäger- Dokumentar-Fake-Film „Perlen und Wilde“ – aus dem Jahr 1922.

wird fortgesetzt

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