piwik no script img

Heiße Luft, gratis

■ betr.: „Am Stammtisch zum ewi gen Krieg“ (Peter Handke hat in seinem Reisebericht „Gerechtig keit für Serbien“ etwas Schreckli ches getan – die Wahrheit gesagt), taz vom 19. 1. 96

Eine „Antwort“ mit viel unfreiwilliger Komik: Da reitet John Wayne alias Willi Winkler auf seinem hohen Roß durch die Wüste und feuert auf diverse Schurken – einen offenbar steckbrieflich gesuchten Peter Schneider, die bösen und dummen Kritiker von Peter Handke, die böse und verblendete Presse und nochmals auf Peter Schneider. Peinlich nur, daß sich Winkler dabei pausenlos in den eigenen Fuß schießt und es nicht einmal merkt. Dieser Peter Schneider, ein „feindbildverknallter“ „Kulturgangster“ und „Erregungsbeamte“(!) mitsamt seinem „Meinungsterrorismus“ (für diese brillante Wortschöpfung gibt's den „Goldenen Goofy“!), hat ein absolut unverzeihliches Verbrechen begangen, nämlich eine andere Meinung zu äußern als Handke.

Laut Winkler hat Peter Handke „etwas ganz, ganz Schreckliches getan, nämlich – die Wahrheit gesagt: daß die mitteleuropäischen Zeitungen (...) in treuer Feindschaft an dem (...) Schlachtruf ,Serbien muß sterbien!‘ hängen“. Ein in seiner ergreifenden Schlichtheit überaus rührendes Statement, das keinen Widerspruch duldet. Gespannt warten die LeserInnen auf eine plausible Begründung, warum nun ausgerechnet diese nicht gerade neue Medienschelte die langgesuchte „Wahrheit“ sein soll. Leider vergeblich. Dafür gibt's heiße Luft gratis. „Die Tugend des Zweifels ist Schneider schon fremd“, so lästern Sie, verehrter Herr Winkler. Sagt Ihnen der Begriff „Eigentor“ zufällig was? Und ob Handkes Zweifel nicht vielleicht Tarnung für Suggestivfragen ist, darf doch sicher auch noch diskutiert werden, oder?

Handke „bittet einzig und allein um die Gnade des genauen Hinsehens“. Aber wehe, wenn jemand es wagen sollte, zu anderen Schlußfolgerungen zu kommen als Sie und Handke!

Weiter weist Handke „haarklein“ nach, „daß die edle Le Monde zwar auf Bebilderung verzichtet, die Schrecken aber im Text um so blutrünstiger ausmalt“. Welch eine entlarvende Entdeckung! Was hätten S' denn gern, Messieurs? Eine Disney-Version, bei der Verletzte nicht bluten, sondern lediglich „Aua!“ rufen? Eine „saubere“, opferlose Berichterstattung wie im Golfkrieg? Übrigens: „Mitgefühl“ für die „Bewohner“ Serbiens – o.k. Aber für (serbische oder kroatische) Faschisten? Und aus welchem Grund ist für Handke das Warum und Wozu des Massenmords von Srebrenica wichtiger als das Massaker selbst? („Warum statt einer Ursachen- Ausforschung [...] wieder nichts als der geile, marktbestimmte Fakten- und Scheinfakten-Verkauf?“ so Handke in der SZ.) Vielleicht gab es ja einen triftigen „Beweggrund“ für „solch ein Tausendfachschlachten“ (Handke)?

Vielleicht, Herr Winkler, hätten Sie sich vor dem Schreiben den Schaum vom Mund wischen sollen – das hätte Sie womöglich davor bewahrt, Opfer Ihrer eigenen Querschläger zu werden. Weiterhin viel Spaß im Glashaus und bei Ihrer U-Bootfahrt unterhalb jeden Stammtischniveaus! Benedikt Jürgens, Oelde

Willi Winkler weiß Bescheid, was sich auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien abspielt. Und er weiß Bescheid, weil er Handke gelesen hat. Und Handke weiß Bescheid, denn immerhin, so Willi Winkler, hat er das Land bereist! Warum also noch die Ergebnisse internationaler Untersuchungskommissionen berücksichtigen? Warum überhaupt Untersuchungskommissionen einsetzen, wenn man nur Handke auf die Pirsch schicken muß, dem die Objektivität offenbar naturhaft eingegeben ist? Willi Winkler palavert unberührt von etwas sorgfältigeren Versuchen der Wahrheitsfindung.

Zusammen mit Handke schert er sich keinen Deut darum, daß alle internationalen und NGO-Organisationen in ihren Berichten davon ausgehen, daß wir es in Bosnien nicht mit einem Bürgerkrieg, sondern mit einem Völkermord zu tun haben – angefangen von Untersuchungskommissionen der Europäischen Gemeinschaft über Berichte von amnesty international und der Gesellschaft für bedrohte Völker bis hin zum Bassiouni- Report (Bericht der Commission of Experts der UNO), den Stellungnahmen von Mazowiecki oder den Aussagen von Helsinki Watch, um nur einige zu nennen. Unbehelligt von all diesen lästigen Erkenntnissen, ergeht er sich in Diffamierungen und schwätzt von der Komplexität der Verhältnisse. Daß darüber die bosnische Bevölkerung mit rassistischen Begründungsmustern abgeschlachtet wird, scheint weder seinen Verstand noch sein „Mitgefühl“ (unerfindliche Wortwahl Winkler) zu beeinträchtigen. Vermutlich lebt sich's damit ganz behaglich: Das Geschwätz vom Bürgerkrieg entlastet von Gedanken über den Völkermord. Die Devise ist: Wenn die BosnierInnen massakriert werden, müssen sie irgendwie und irgendwo schon selber mitverantwortlich sein. Gleichermaßen gespannt und angewidert erwarte ich die nächste Runde dieser Art „politischer Analyse“. Vielleicht: Gerechtigkeit für die Schlächter von Auschwitz? Ruth Seifert, Hamburg

1. Peter Schneider war einer der wenigen deutschen Intellektuellen, der seit Beginn des großserbischen Eroberungskrieges gegen dessen Vertreibungs- und Ausrottungscharakter anschrieb und „Roß und Reiter“ (Karadžić und Milošević) nannte. Er wie andere europäische Intellektuelle zeigten die Bedeutung der bis heute vertretenen Ansichten vom „Bürgerkrieg“ und „kriegerischen Balkan“ als das auf, was sie in Wirklichkeit waren: Begünstigung und Unterstützung des großserbischen Projektes zur Errichtung des ersten rassistischen Staates in Europa nach 1945. Früh forderten sie – ebenso wie Marek Edelmann, überlebender Kommandant des Aufstandes im Warschauer Ghetto gegen die Nazi-Barbarei – eine Intervention, um der Schlachterei ein Ende zu setzen und Recht und Frieden wiederherzustellen.

2. Diese Einschätzung großserbischer Politik und Kriegführung wurde durch unzählige Berichte und Recherchen von Nichtregierungsorganisationen wie „Médecins sans frontières“, der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, dem „Komitee Cap Anamur“ u.a. bestätigt. Dabei wurde durchaus nicht verschwiegen, daß auch die Opfer in ihrer Gegenwehr mitunter Menschenrechte verletzten. Mazowiecki, Sonderberichterstattung der UN in Menschenrechtsfragen im ehemaligen Jugoslawien, resümierte nach seiner Demission im August 1995, daß gröbste Menschenrechtsverletzungen (Massenmorde, Vergewaltigungen, Folterungen, Vertreibungen etc.) zu 80 Prozent von großserbischer, zu 15 Prozent von kroatisch-nationalistischer und zu 5 Prozent von bosnischer Seite begangen wurden.

3. Schneider wie andere Intellektuelle wußten sehr wohl zwischen großserbischer (rassistischer) Politik und serbischer Bevölkerung zu unterscheiden. So setzten sie sich erfolgreich für die Freilassung des vom Tode bedrohten serbischen Oppositionspolitiker Drašković ein, unterstützten serbische Deserteure und verurteilten diktatorische Maßnahmen gegen die Bevölkerung in Serbien.

4. P. Schneider, M. Edelmann, J. Semprun, S. Sontag, V. Havel, A. Glucksmann u.a. zogen aus zum Teil persönlichen Erfahrungen mit Totalitarismen dieses Jahrhunderts den Schluß, der erneuten Ausbreitung von Barbarei entschieden und von Anbeginn an entgegenzutreten. Nur so seien Menschenleben, Recht und Frieden zu bewahren.

Es scheint trotz aller Erfahrungen dieses Jahrhunderts fast so, als lebe neben jenen Intellektuellen, die sich der Tradition eines „J'accuses“ verpflichtet fühlen, jene andere unheilvolle Spezies fort, die sich Ideologien verschreibt und die Wirklichkeit entsprechend entstellt. Auch das „Ende der Geschichte“ der „Großen Gesänge“ scheint noch lange nicht gekommen. Regine Noack, Steffen Noack,

Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen